2.5.4 Zahlung der Beschwerdegebühr
Mit Art. 1 (4) des Beschlusses des Verwaltungsrats vom 13. Dezember 2017 zur Änderung der Art. 2 und 14 GebO (CA/D 17/17, ABl. 2018, A4) wurde Art. 2 (1) Nr. 11 GebO neu gefasst. Danach müssen die in R. 6 (4) und (5) EPÜ genannten Personen und Einheiten (kleine und mittlere Unternehmen, natürliche Personen oder Organisationen ohne Gewinnerzielungsabsicht, Hochschulen oder öffentliche Forschungseinrichtungen) anstatt der vollen Gebühr nur eine ermäßigte Beschwerdegebühr entrichten. Die Mitteilung des EPA vom 18. Dezember 2017 (ABl. 2018, A5) enthält weitere Einzelheiten für die Inanspruchnahme der ermäßigten Beschwerdegebühr. Nach Nr. 3 der Mitteilung müssen Beschwerdeführer, die die ermäßigte Beschwerdegebühr in Anspruch nehmen wollen, ausdrücklich erklären, dass sie eine natürliche Person oder eine Einheit im Sinne von R. 6 (4) EPÜ sind. Nach Nr. 4 der Mitteilung muss die Erklärung spätestens zum Zeitpunkt der Zahlung der ermäßigten Beschwerdegebühr eingereicht werden. Nach Nr. 11 der Mitteilung gilt die Beschwerde unter Umständen als nicht eingelegt bzw. unzulässig, wenn die ermäßigte Gebühr ohne eine solche Erklärung entrichtet wird.
In J 8/18 verwies die Juristische Beschwerdekammer darauf, dass zu den Einheiten im Sinne der R. 6 (4) und (5) EPÜ kleine oder mittlere Unternehmen (KMU) gemäß der Definition in der Empfehlung 2003/361/EG der Kommission gehören, auf die in R. 6 (5) EPÜ Bezug genommen wird. Die Tatsache, dass der Beschwerdeführer ein Unternehmen mit Sitz in China ist, bedeutet nicht, dass er nicht in den Genuss der ermäßigten Beschwerdegebühr kommen kann.
In den nachstehend behandelten Fällen entrichteten die Beschwerdeführer innerhalb der Beschwerdefrist nur den ermäßigten Betrag für die Beschwerdegebühr, obwohl die Voraussetzungen für eine Ermäßigung nicht vorlagen oder strittig waren. Somit stellte sich die Frage, ob die Beschwerden wegen Nichtzahlung der Beschwerdegebühr in der erforderlichen Höhe als nicht eingelegt galten (Art. 108 Satz 2 EPÜ, G 1/18, ABl. 2020, A26). S. jedoch auch T 1474/19.
– Erklärung über den Anspruch auf eine Ermäßigung der Beschwerdegebühr
In T 1060/19 stellte die Kammer fest, dass laut Ratsbeschluss CA/D 17/17 eine Erklärung wie in den Nrn. 3 und 4 der Mitteilung vorgesehen nicht erforderlich war. Trotzdem ging sie von der (fiktiven) Annahme aus, dass die für den vorliegenden Fall relevanten Bestimmungen der Mitteilung anwendbar seien. Ausgehend von Nr. 11 der Mitteilung ist deren Nr. 4 so zu lesen, dass "nachdrücklich empfohlen werde", die Erklärung zusammen mit der Zahlung einzureichen. Die Kammer fasste zusammen, dass die Erklärung über den Anspruch auf eine Ermäßigung der Beschwerdegebühr gemäß der Mitteilung des EPA (ABl. 2018, A5) trotz der Formulierung im letzten Satz von Nr. 4 der Mitteilung bis zum Ablauf der Beschwerdefrist eingereicht werden kann; die Formulierung in Nr. 4 ist im Zusammenhang mit Nr. 11 der Mitteilung zu sehen.
In T 225/19 schloss sich die Kammer der Entscheidung T 1060/19 an, wonach es an einer Rechtsgrundlage fehlt, die Fiktion der Nichteinlegung der Beschwerde bei Zahlung einer ermäßigten Beschwerdegebühr von dem Vorliegen einer der Nr. 3 und 4 der Mitteilung genügenden Erklärung abhängig zu machen. Der Beschluss des Verwaltungsrats CA/D 17/17 bzw. der dadurch neugefasste Art. 2 (1) Nr. 11 der GebO enthalten keine Rechtsgrundlage für die in Nr. 3 und 4 der Mitteilung verlangte Erklärung. Die Mitteilung stellt das zusätzliche, durch keine Rechtsgrundlage gestützte Erfordernis einer mit der Gebührenzahlung abzugebenden Erklärung auf. Die Beschwerdekammern sind nicht durch Mitteilungen des EPA betreffend die Anwendung und Auslegung von Rechtsvorschriften, sondern nur durch diese gesetzlichen Vorschriften selbst gebunden (J 8/18, Art. 23 (3) EPÜ). Danach kann eine Erklärung nach Nr. 3 und 4 der Mitteilung jedenfalls nicht schon bei Zahlung der ermäßigten Beschwerdegebühr verlangt werden. Die Kammer ist jedoch befugt und verpflichtet, die Voraussetzungen für die Zulässigkeit und wirksame Einlegung der Beschwerde in jedem Verfahrensstadium, also auch nach Ablauf der Beschwerdefrist, zu prüfen. Eine Überprüfung durch die Kammer ist insbesondere dann geboten, wenn das Vorliegen der Voraussetzungen nach R. 6 (4) EPÜ von anderen Verfahrensbeteiligten bestritten wird. Dabei entspricht es der Praxis der Beschwerdekammern, eine Erklärung und entsprechende Belege zum Nachweis der Voraussetzungen nach R. 6 (4) EPÜ auch noch nach Ablauf der Beschwerdefrist im Laufe des Beschwerdeverfahrens zu akzeptieren (vgl. T 3023/18).
In T 3023/18 wurde die Beschwerdeschrift im Namen der Borealis AG eingereicht und die ermäßigte Beschwerdegebühr am letzten Tag der entsprechenden Frist entrichtet. In ihrer ersten Mitteilung forderte die Kammer den Beschwerdeführer auf, die für die Ermäßigung erforderliche Erklärung vorzulegen, die noch fehlte. Der Beschwerdeführer bestätigte daraufhin, keinen Anspruch auf die Ermäßigung zu haben.
Die Kammer wies darauf hin, dass die Nichteinreichung der erforderlichen Erklärung kein Beweis für die klare Absicht des Beschwerdeführers ist, die volle Beschwerdegebühr zu zahlen. Die Kammer befand, dass die Beschwerde als nicht eingelegt anzusehen ist, und ordnete die Rückzahlung der Gebührenbeträge an (G 1/18, ABl. 2020, A26). Siehe jedoch auch T 1474/19.
– Berichtungsantrag nach Regel 139 EPÜ
In T 317/19 hatte der Beschwerdeführer die Beschwerde innerhalb der Zweimonatsfrist eingelegt. Allerdings wurde der Abbuchungsauftrag für die Zahlung der Beschwerdegebühr wegen eines Fehlers in der Rubrik "Zahlungsart" im Formblatt 1038E (dort stand statt einer Zahlungsart "nicht angegeben") nicht fristgerecht ausgeführt. Gemäß der Stellungnahme G 1/18 (ABl. 2020, A26) hatte dies zur Folge, dass die Beschwerde als nicht eingelegt galt. Um dies zu ändern, reichte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Berichtigung nach R. 139 EPÜ ein. Die Kammer verwies auf G 1/12 (ABl. 2014, A114), worin die Große Beschwerdekammer bestätigt hat, dass eine Berichtigung von Fehlern nach R. 139 EPÜ in beim EPA eingereichten Unterlagen allgemein anwendbar ist. Die Kammer war sich dessen bewusst, dass die Große Beschwerdekammer diese Entscheidung nur in Bezug auf die Berichtigung eines im Namen des Beschwerdeführers enthaltenen Fehlers erlassen hatte. Die Kammer sah jedoch keinen Grund, warum die Entscheidung nicht auch für die Berichtigung eines falsch ausgefüllten Zahlungsformblatts gelten sollte. Im vorliegenden Fall erfüllte der Beschwerdeführer die in G 1/12 zusammengefassten Erfordernisse für eine Berichtigung nach R. 139 EPÜ. Folglich galt die Beschwerde rückwirkend als eingelegt. Ein Fehler in einem ordnungsgemäß eingereichten Formblatt zur Entrichtung der Beschwerdegebühr kann somit nach R. 139 Satz 1 EPÜ berichtigt werden. S. auch J 8/19, in welcher die Juristische Beschwerdekammer zu dem Ergebnis kam, dass die Erfordernisse für die beantragte Berichtigung des Betrags der Beschwerdegebühr, der im Formblatt 1038E für den automatischen Abbuchungsauftrag ausgewiesen war, erfüllt waren. Weil eine Berichtigung nach R. 139 EPÜ Ex-tunc-Wirkung hat, galt die Beschwerde somit rückwirkend als eingelegt.
Die Kammer in T 444/20 stellte mit Verweis auf T 317/19 fest, dass ein Fehler in einem ordnungsgemäß eingereichten Formblatt zur Entrichtung der Beschwerdegebühr nach R. 139 Satz 1 EPÜ berichtigt werden kann. Sie verwies auch auf T 2620/18, in der die Sachlage eine ganz ähnliche war. Auch dort hatte der Beschwerdeführer die seinerzeit geltende ermäßigte Beschwerdegebühr mit der vormals einzigen Beschwerdegebühr verwechselt und sowohl in der Beschwerdeschrift als auch im Zahlungsformblatt den falschen Betrag von 1 880 EUR angegeben. Die damalige Kammer hatte es für plausibel befunden, dass der Beschwerdeführer sich nach dem vorher geltenden und bekannten Gebührenbetrag von 1 880 EUR gerichtet und fälschlich angenommen hatte, den Betrag in voller Höhe (2 255 EUR) entrichtet zu haben. Die Kammer im vorliegenden Fall sah keine Veranlassung, von dieser Entscheidung abzuweichen. Daher befand sie, dass die angestrebte Berichtigung der ursprünglichen Absicht des Beschwerdeführers entsprach und diese ursprüngliche Absicht ohne Weiteres erkennbar war. Zudem hatte der Beschwerdeführer seinen Antrag nach R. 139 EPÜ bloß zwei Wochen nach der Mitteilung der Kammer gestellt, in der diese ihn erstmals darauf hingewiesen hatte, dass die vorgeschriebene Beschwerdegebühr nicht wirksam entrichtet worden sei. Die Kammer entschied folglich, dass die Erfordernisse für die beantragte Berichtigung erfüllt seien (s. G 1/12).
In T 2620/18 stützte sich der Beschwerdeführer auf T 152/82 vom 5. September 1983 date: 1983-09-05 (ABl. 1984, 301) und die darauf beruhende Praxis des EPA, in Abbuchungsaufträgen genannte Minderbeträge von Amts wegen auf den korrekten Betrag zu korrigieren und die volle Gebühr abzubuchen, sofern die Zahlungsintention des Auftraggebers offensichtlich ist. Nach Auffassung der Kammer war die vorgenannte Praxis des Amtes nicht ohne weiteres auf ein System gestaffelter Beschwerdegebühren anwendbar. Bei der ausdrücklichen Angabe im Abbuchungsauftrag, die ermäßigte Beschwerdegebühr zahlen zu wollen, kann nicht von Amts wegen davon ausgegangen werden, dass der Auftraggeber dennoch die volle Gebühr zahlen wollte. Auch das Fehlen einer Erklärung nach R. 6 (6) EPÜ ist kein eindeutiger Hinweis, dass die Zahlung der vollen Gebühr intendiert ist. Die Kammer legte das Vorbringen des Beschwerdeführers in der Beschwerdebegründung inhaltlich als Antrag auf Korrektur des Abbuchungsauftrags aus und hielt es insoweit für glaubhaft, dass der Beschwerdeführer davon ausgegangen war, die volle Beschwerdegebühr bezahlt zu haben. Die Kammer war aber der Auffassung, dass der Berichtigungsantrag nicht unverzüglich gestellt worden war (Kriterium d) der Aufzählung in G 1/12, ABl. 2014, A114, Nr. 37 der Gründe). Der Antrag in der Beschwerdebegründung wurde erst sechs Wochen nach dem Bemerken des Versehens eingereicht. Das bloße frühzeitige Einreichen eines weiteren Abbuchungsauftrages wurde von ihr nicht als impliziter Berichtigungsantrag angesehen (R. 139 EPÜ).
– Differenzbetrag nicht geringfügig
In T 2620/18 und T 3023/18 wurde der Differenzbetrag zur vollen Beschwerdegebühr nicht als geringfügig angesehen. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber bei der Einführung der ermäßigten Beschwerdegebühr lediglich eine geringfügige, gewissermaßen symbolische Gebührenentlastung für natürliche Personen und kleine und mittlere Unternehmen vorsehen wollte.
In T 2422/18 erklärte der Beschwerdeführer, dass es sich bei der Entrichtung der reduzierten Beschwerdegebühr nach R. 6 (4) EPÜ um ein Versehen gehandelt habe und der Rechtsbetrag von 375 EUR werde nachgereicht. Die auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes gestützten Argumente des Beschwerdeführers wies die Kammer zurück. Die Kammer wies zudem darauf hin, dass es sich bei dem ausstehenden Betrag nicht um einen Fehlbetrag i. S. v. Art. 8 Satz 4 GebO handelte.
- T 1678/21
Catchword:
1. From the company name of an appellant alone it can generally not be derived that the appellant does not meet the conditions of Rule 6(4,5) EPC in conjunction with European Commission Recommendation 2003/361/EC of 6 May 2003 for payment of the reduced appeal fee. This applies even where a company name is well-known. 2. Where it is not clear from the file at the end of the appeal period whether or not an appellant at the point in time of payment of the reduced fee meets the conditions of Rule 6(4,5) EPC, no clear intention to pay the regular appeal fee can be detected that under the principles of T 152/82 would entitle the EPO to ex officio debit the amount of the regular fee. 3. An appellant who gives a debit order for payment of the reduced appeal fee even though it clearly does not meet the conditions of Rule 6(4,5) EPC commits an obvious mistake in the meaning of J 8/80 and G 1/12. Such an appellant is imputed to have had the clear intention to pay the regular fee, reason why no evidence to prove this intention is required. 4. The exhaustive criteria to assess Rule 139 EPC are "principles" (a) to (c) of G 1/12, i.e. essentially those of J 8/80, points 4 and 6: (a) The correction must introduce what was originally intended. (b) Where the original intention is not immediately apparent, the requester bears the burden of proof, which must be a heavy one. The same applies, pursuant to J 8/80, point 6, where the making of the mistake is not self-evident. (c) The error to be remedied may be an incorrect statement or an omission. complemented by criterion (d) balancing of the public interest in legal certainty with the interest of the party requesting correction, with the factors (i.e. sub-criteria of this criterion) relevant to the specific case.
- T 1474/19
Catchword:
I. A debit order has to be interpreted on its substance, according to the (objectively) clear intention of the appellant expressed therein to pay a fee in the applicable amount.
II. Under the Arrangements for deposit accounts valid as from 1 December 2017 (ADA 2017), a debit order having the clear purpose of paying a particular fee (here: the appeal fee) authorises the EPO to debit that fee in the applicable amount.
- T 84/19
Catchword:
Eligibility requirements for paying a reduced appeal fee by an appellant - opponent in case of opposition filed as a straw man (Reasons 1 to 9.2).
- Sammlung 2023 “Abstracts of decisions”