3.7. Rücknahme von Änderungen und Verzicht auf Gegenstand
Anträge auf Zurücknahme von Änderungen stellen selbst Anträge auf weitere Änderungen dar; wird also ein Antrag nach der Erwiderung auf den ersten Bescheid des Prüfers gestellt, so darf die zugehörige Änderung nur mit Zustimmung des Prüfers vorgenommen werden.
Bei der Streichung eines Gegenstands aus der Anmeldung sollte der Anmelder alle Erklärungen vermeiden, die als Verzicht auf diesen Gegenstand ausgelegt werden könnten. Andernfalls kann dieser Gegenstand nicht wieder in das Verfahren eingeführt werden (s. J 15/85; G 1/05 date: 2007-06-28, ABl. 2008, 271; G 1/06, ABl. 2008, 307; s. auch Richtlinien H‑III, 2.5 – Stand März 2022).
Wenn ein Anmelder Ansprüche aus einer Patentanmeldung streicht, ohne dabei anzugeben, dass die Einreichung einer Teilanmeldung hiervon nicht berührt wird, so ist nach J 15/85 (ABl. 1986, 395) die Prüfungsabteilung verpflichtet, der späteren Einreichung einer Teilanmeldung ihre Zustimmung zu versagen. Eine Auslegung der Verzichtserklärung kann jedoch ergeben, dass kein endgültiger Verzicht auf Gegenstände der Anmeldung oder des Patents beabsichtigt war. In T 910/92 verzichtete der Anmelder ausdrücklich auf einige Ansprüche in seiner Anmeldung, widerrief dies jedoch später und beantragte die Wiederaufnahme der aus der Anmeldung gestrichenen Ansprüche in eine Teilanmeldung. Die Beschwerdekammer befasste sich mit der Frage, unter welchen Umständen es möglich ist, eine Verzichtserklärung zu widerrufen. Sie verwies auf die Rechtsprechung, wonach der wirkliche Wille des Erklärenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles erkannt werden muss. Sie kam zu dem Ergebnis, dass in der vorliegenden Sache der wirkliche Wille des Beschwerdeführers nicht in dem ersatzlosen Verzicht auf einen Teil der ursprünglichen Offenbarung zu sehen war, sondern vielmehr dem Motiv entsprang, die Uneinheitlichkeit zu vermeiden, die durch die Änderung des Schutzbegehrens entstand. Im Gegensatz zur Entscheidung J 15/85 vermochte die Kammer die Notwendigkeit des Schutzes des öffentlichen Interesses durch generelles Verbot des Widerrufs eines Verzichts nicht einzusehen. Habe ein Dritter Interesse an dem Verfahren der Anmeldung, so sei von ihm zu erwarten, dass er in passenden Zeitabständen bis zum Abschluss des Verfahrens Akteneinsicht beantrage (G 1/06, ABl. 2008, 307; G 1/05 date: 2007-06-28, ABl. 2008, 271; J 2/01, ABl. 2005, 88; J 29/97).
Mit ihrer Entscheidung in J 13/84 (ABl. 1985, 34) ließ die Juristische Kammer für die Auslegung einer Verzichtserklärung die gleichen Kriterien zu, die die Rechtsprechung für die Erklärung der Zurücknahme einer Anmeldung entwickelt hatte. Insbesondere werden die Gesamtumstände und nicht nur die vorausgegangenen Erklärungen für die Auslegung berücksichtigt. In dem zu entscheidenden Fall hatte die Anmelderin in Erwiderung auf eine Mitteilung der Prüfungsabteilung den Anspruch 21 gestrichen und dabei den Satz "Dem Vorschlag des Prüfers entsprechend reichen wir eine Teilanmeldung für die Zwischenprodukte [...] sowie für deren Herstellungsverfahren ein" hinzugesetzt. Die Teilanmeldung, die den früheren Anspruch 21 zum Gegenstand hatte, wurde nach Meinung der Eingangsstelle nicht innerhalb der in R. 25 (1) b) EPÜ 1973 vorgesehenen Frist von zwei Monaten eingereicht (wobei die am 7. Oktober 1977 in Kraft getretene Fassung zugrunde gelegt wurde; die Bestimmung wurde mit Wirkung vom 1. Oktober 1988 gestrichen). Sie argumentierte, dass der Patentanspruch 21, der schon am 6. Juni 1983 aus der Anmeldung herausgenommen worden und daher am 31. August 1983 (dem Zeitpunkt der Einreichung der Teilanmeldung) nicht mehr Teil der Stammanmeldung gewesen sei, nicht mehr in eine Teilanmeldung habe umgewandelt werden können. Die Juristische Kammer teilte diese Auffassung nicht und verlangte, dass die Verzichtserklärung wie die Erklärung, eine Anmeldung sei zurückgenommen, in Anbetracht der Gesamtumstände ausgelegt werde. Dazu hat sie ausgeführt, dass ganz allgemein gilt, was im Leitsatz der Entscheidung J 11/80 (ABl. 1981, 141) wie folgt formuliert ist: Einer Erklärung, dass eine europäische Patentanmeldung zurückgenommen wird, sollte ohne Rückfrage nur dann stattgegeben werden, wenn die Erklärung keinerlei Vorbehalte enthält und eindeutig ist. Die Juristische Kammer verwies auch auf die Entscheidungen J 24/82, J 25/82 und J 26/82 (ABl. 1984, 467), wonach bei einer Zurücknahme von Patentansprüchen gerade im Rahmen der R. 25 (1) EPÜ 1973 (in der am 7. Oktober 1977 in Kraft getretenen Fassung) die Beschränkungsabsicht des Anmelders nicht isoliert aufgrund dieses oder jenes Satzes, sondern im Zusammenhang des gesamten Verfahrens auszulegen ist. Sie war der Auffassung, dass sich im vorliegenden Fall aus den Umständen kein ausdrücklicher Wille ergab, den Anspruch fallen zu lassen. Sie ließ die Teilanmeldung zu.
In T 118/91 wurde entschieden, die Aufnahme eines Anspruchs in eine Teilanmeldung bedeute nicht, dass er für die Stammanmeldung fallen gelassen worden sei.