8.2. Zwischenentscheidungen
Der beim EPA seit Langem praktizierte Erlass einer beschwerdefähigen Zwischenentscheidung, wenn eine Einspruchsabteilung beabsichtigt, ein Patent in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten, wurde von der Großen Beschwerdekammer in G 1/88 (ABl. 1989, 189) anerkannt.
Die Entscheidung über den Einspruch gegen ein europäisches Patent kann nach Art. 101 (2) und (3) a) EPÜ (Art. 102 (1) bis (3) EPÜ 1973) auf Widerruf des Patents, Zurückweisung des Einspruchs oder Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang lauten. Im letzteren Fall bedarf es der Veröffentlichung einer neuen europäischen Patentschrift. Die Zahlung der Veröffentlichungsgebühr (frühere Druckkostengebühr) ist nach R. 82 (2) EPÜ (R. 58 (5) EPÜ 1973) Voraussetzung für die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang. Im Hinblick auf diese Regelungen ging das EPA in der Praxis sehr früh dazu über, eine geänderte Fassung des Patents zunächst in einer an sich nicht ausdrücklich vorgesehenen Zwischenentscheidung festzulegen. Erst wenn diese Zwischenentscheidung rechtskräftig geworden ist (oder die Sache im Beschwerdeverfahren anderweitig entschieden worden ist), wird nach R. 82 (2) EPÜ (R. 58 (5) EPÜ 1973) die Veröffentlichungsgebühr (frühere Druckkostengebühr) und eine Übersetzung der Patentansprüche in die weiteren Amtssprachen angefordert. Seit 1. Mai 2016 ist außerdem, wenn in der mündlichen Verhandlung handschriftliche Änderungen eingereicht wurden, eine maschinenschriftliche Fassung der geänderten Passagen vorzulegen (R. 82 (2) EPÜ in der seit 1. Mai 2016 geltenden Fassung, ABl. 2016, A22). Nach Erfüllung dieser Erfordernisse ergeht die dann unanfechtbare Endentscheidung über die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang. Danach erfolgt die Herausgabe der neuen Patentschrift.
Eine Zwischenentscheidung über die Fassung des in geändertem Umfang aufrechtzuerhaltenden Patents kann allerdings nur ergehen, wenn nach Art. 113 (2) EPÜ eine vom Patentinhaber "vorgelegte oder gebilligte" Fassung vorliegt.
In T 390/86 (ABl. 1989, 30) wurde entschieden, dass weder Art. 102 (3) EPÜ 1973 (der zu Art. 101 (3) a) EPÜ wurde, wobei ein Teil in R. 82 EPÜ überführt wurde) noch R. 58 (4) EPÜ 1973 (R. 82 (1) EPÜ) die Einspruchsabteilung daran hindert, Entscheidungen über Sachfragen im Einspruchsverfahren zu treffen, bevor sie eine Mitteilung nach R. 58 (4) EPÜ 1973 absendet und "die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang beschließt". So kann z. B. die Einspruchsabteilung in einer (endgültigen) mündlichen oder schriftlichen Zwischenentscheidung feststellen, dass ein bestimmter Änderungsvorschlag gegen Art. 123 EPÜ verstößt. Sie kann nach Auffassung der Kammer im Einspruchsverfahren auch die (endgültige) Zwischenentscheidung treffen, dass z. B. der Hauptanspruch des angefochtenen Patents nicht aufrechterhalten werden kann. Eine solche materielle Zwischenentscheidung ist noch nicht die eigentliche Entscheidung zur Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang, sondern nur eine Vorentscheidung hierzu. Solche materiellen Zwischenentscheidungen im Einspruchsverfahren sind in zweierlei Hinsicht wünschenswert, nämlich um das Verfahren voranzutreiben und um den Beteiligten in entsprechenden Fällen (Art. 106 (3) EPÜ 1973; Art. 106 (2) EPÜ) die Möglichkeit zu geben, diese Zwischenentscheidung noch vor Abschluss des Einspruchsverfahrens mit der Beschwerde anzufechten. Es wurde weiter ausgeführt, dass die Einspruchsabteilung, sobald eine endgültige Sachentscheidung getroffen worden ist, nicht befugt ist, die Prüfung des Einspruchs im Zusammenhang mit Fragen fortzusetzen, die Gegenstand dieser Entscheidung waren. Weitere Anträge der Beteiligten zu diesen Fragen sind unzulässig.
In T 89/90 (ABl. 1992, 456) hatten die Einsprechenden Einwände gegen eine Zwischenentscheidung vorgebracht, in der festgestellt worden war, dass das Patent in geänderter Fassung und die Erfindung, die es zum Gegenstand hatte, den Erfordernissen des EPÜ genügten. Die Rechtsgrundlage für die Zwischenentscheidung bot Art. 106 (3) EPÜ 1973. Die Kammer merkte an, dass es im EPÜ keine generellen Vorschriften darüber gibt, wann von Zwischenentscheidungen Gebrauch gemacht werden kann oder soll. Es ist somit eine Ermessensfrage der zuständigen Instanz, ob in Einzelfällen eine Zwischenentscheidung angemessen ist. Dabei kommt es auf eine Abwägung verschiedener Gesichtspunkte an, z. B. ob durch eine Zwischenentscheidung das ganze Verfahren beschleunigt oder vereinfacht werden kann (die Klärung einer strittigen Prioritätsfrage kann z. B. eine entscheidende Rolle für die Gestaltung und den Umfang des weiteren Verfahrens spielen), und auch die Berücksichtigung von Kostenaspekten liegt eindeutig im Rahmen einer solchen Abwägung. Für die Kammer war klar, dass die ständige Praxis, im Fall der Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung eine beschwerdefähige Zwischenentscheidung gemäß Art. 106 (3) EPÜ 1973 (Art. 106 (2) EPÜ) zu erlassen, auf einer Abwägung derartiger Kostenaspekte beruht. Diese Praxis ist weder aus formalen noch aus sachlichen Gründen zu beanstanden.
Im Fall einer zulässigen Beschwerde gegen eine Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung über die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung hat die Große Beschwerdekammer in G 9/92 date: 1994-07-14 (ABl. 1994, 875) die Schlussfolgerungen dargestellt, die sich bei der alleinigen Beschwerde zum einen dann ergeben, wenn der alleinige Beschwerdeführer der Patentinhaber ist, und zum anderen dann, wenn er der Einsprechende ist. Im ersten Fall kann weder die Beschwerdekammer noch der nicht beschwerdeführende Einsprechende als Beteiligter die Fassung des Patents gemäß der Zwischenentscheidung in Frage stellen. Im zweiten Fall ist der Patentinhaber primär darauf beschränkt, das Patent in der Fassung zu verteidigen, die die Einspruchsabteilung zugrunde gelegt hat. Änderungen, die der Patentinhaber als Beteiligter vorschlägt, können von der Beschwerdekammer abgelehnt werden, wenn sie weder sachdienlich noch erforderlich sind. Für weitere Einzelheiten zum Verbot der reformatio in peius und seiner Anwendung in Kammerentscheidungen s. Kapitel V.A.3.1.