2. Einheitlichkeit im Zusammenhang mit verschiedenen Anspruchstypen
R. 13.4 PCT sieht vor, dass abhängige Ansprüche dem Erfordernis der Einheitlichkeit nach R. 13.1 PCT genügen müssen. Das EPÜ enthält keine vergleichbare ausdrückliche Regelung. Es hat sich daher die Frage gestellt, ob dieser Unterschied zu einer unterschiedlichen Beurteilung der Einheitlichkeit von abhängigen Ansprüchen führt. Die Rechtsprechung der Beschwerdekammern in PCT-Sachen war einheitlich: das Erfordernis der Einheitlichkeit muss auch bei abhängigen Ansprüchen erfüllt sein (vgl. u. a. W 3/87, W 2/88, W 30/89, W 32/89, W 26/90, W 8/91, W 54/91). In EPÜ-Sachen gehen die Kammern ebenfalls davon aus, dass abhängige Ansprüche dem Erfordernis der Einheitlichkeit genügen müssen. Die Prüfung im EPÜ-Verfahren wird nicht so streng wie im Falle von unabhängigen Ansprüchen durchgeführt: Die Prüfung wird nur in den Fällen durchgeführt, in denen die Einheitlichkeit problematisch sein könnte (vgl. T 140/83 und T 249/89).
In W 8/91 wurde entschieden, dass die ISA bei formal abhängigen Ansprüchen ausdrücklich anzugeben habe, warum sie nicht einheitlich seien; die bloße Aussage, dies gehe unmittelbar aus dem von der ISA festgelegten Gegenstand hervor, genügt demnach nicht.
In W 6/98 vertrat die Kammer die Auffassung, dass die Vorwegnahme des Gegenstands eines unabhängigen Anspruchs zu einer Situation führen könne, in der nachträglich Nichteinheitlichkeit vorliege, die aber nur festgestellt werden könne, indem aufgezeigt werde, dass es tatsächlich keine einheitliche neue erfinderische Idee gebe, die allen abhängigen Ansprüchen gemein sei. Die Kammer stellte fest, dass mangelnde Neuheit des Gegenstands eines unabhängigen Anspruchs nicht automatisch a posteriori mangelnde Einheitlichkeit der direkt oder indirekt von diesem unabhängigen Anspruch abhängigen Ansprüche mit sich bringe.
In T 129/14 erklärte die Kammer, ein abhängiger Anspruch weise in der Regel sämtliche Merkmale des zugehörigen unabhängigen Anspruchs auf. Umfasse der unabhängige Anspruch ein oder mehrere besondere technische Merkmale, die einen Beitrag zum Stand der Technik bestimmen, so seien diese auch Bestandteil des abhängigen Anspruchs, sodass eine einzige allgemeine erfinderische Idee im Sinne des Art. 82 EPÜ vorliege. Umfasse der unabhängige Anspruch keine besonderen technischen Merkmale, die einen Beitrag zum Stand der Technik bestimmen, z. B. weil sein Gegenstand nicht neu sei, so verkörpere er keine erfinderische Idee. Folglich gebe es auch dann nicht mehr als eine – möglicherweise durch die zusätzlichen Merkmale des abhängigen Anspruchs definierte – allgemeine erfinderische Idee im Sinne des Art. 82 EPÜ (s. Richtlinien F‑V, 9 – Stand November 2015; s. jetzt Richtlinien F‑V, 3.2.3 – Stand März 2022).