2.2.1 Nichterscheinen einer Partei in der mündlichen Verhandlung
Der zur mündlichen Verhandlung erschienene Beteiligte wird durch das Fernbleiben des anderen im Allgemeinen nicht geschädigt. Haben die betroffenen Verfahrensbeteiligten weder nachgewiesen noch geltend gemacht, dass ihnen durch das Fernbleiben der anderen Partei Mehrkosten entstanden sind, wird eine anderweitige Kostenverteilung grundsätzlich nicht angeordnet werden (T 544/94, T 632/88 und T 507/89).
In T 591/88 hatten beide Parteien die Anberaumung der mündlichen Verhandlung "für jeden Fall" beantragt. Der Beschwerdegegner blieb dennoch der Verhandlung fern, ohne dies vorher anzukündigen. Daraufhin beantragte der Beschwerdeführer die Verteilung der Kosten mit der Begründung, die mündliche Verhandlung wäre nicht nötig gewesen, wenn er gewusst hätte, dass der Beschwerdegegner nicht erscheinen werde. Die Kammer lehnte die anderweitige Kostenverteilung ab, weil die Beschwerdeführer den Antrag auf mündliche Verhandlung "für jeden Fall" gestellt hatten, also auch für den Fall, dass die andere Partei nicht erscheint.
Reicht der Beschwerdeführer die Mitteilung, er werde nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen, erst zwei Werktage vor dem für die mündliche Verhandlung anberaumten Termin ein, könnte dies als fahrlässiges oder vorsätzliches Verhalten angesehen werden – so die Ausführungen der Kammer in T 91/99, wo allerdings kein schuldhaftes Verhalten seitens des Beschwerdeführers festgestellt wurde, das eine Kostenverteilung nach Art. 104 (1) EPÜ 1973 rechtfertigen könnte. S. dazu auch T 876/16, wo die Partei ihre Nichtteilnahme einen Monat vor der mündlichen Verhandlung bekannt gegeben hatte und keine andere Verteilung angeordnet wurde.
In T 383/13 hatte der Beschwerdegegner (Einsprechende) die Anordnung einer anderen Kostenverteilung nach Art. 104 (1) EPÜ beantragt, weil er sich zu einer mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer eingefunden hatte, während der Beschwerdeführer sein Fernbleiben erst mit einem zwei Tage vor dem Verhandlungstermin datierten Schreiben mitgeteilt hatte. Die Kammer entschied, dass in Fällen, in denen ein Beteiligter seine Entscheidung über sein Fernbleiben von der mündlichen Verhandlung oder die entsprechende Benachrichtigung der Kammer und der übrigen Beteiligten hinauszögert, eine Kostenverteilung zugunsten der anderen Partei insofern gerechtfertigt sein kann, als die Kosten unmittelbar dadurch verursacht worden sind, dass die Mitteilung nicht innerhalb einer angemessenen Frist vor der mündlichen Verhandlung eingereicht worden ist. Als den für die Ausübung ihres Ermessens angebrachten Maßstab nannte sie den in T 1079/07 angewandten. Die Kammer war der Auffassung, dass die mündliche Verhandlung keineswegs überflüssig war, weil sie die Verhandlung selbst dann nicht abgesagt hätte, wenn der Beschwerdeführer sein Fernbleiben früher mitgeteilt hätte, und sie an dem für die mündliche Verhandlung vorgesehenen Termin in der Sache entscheiden und somit den Fall zum Abschluss bringen wollte. In diesem Zusammenhang sei es zudem irrelevant, dass ihre vorläufige Stellungnahme zugunsten des Beschwerdegegners ausgefallen sei. Die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung gehöre jedoch auch dann zur Sorgfaltspflicht des Vertreters, wenn die vorläufige Stellungnahme in seinem Sinne ausgefallen ist und die Gegenpartei der Verhandlung fernbleibt. Die Kammer entschied, dass die Anordnung einer anderen Kostenverteilung nach Art. 104 (1) EPÜ nicht angebracht war.
In T 2377/13 entschied die Kammer, bei der Ausübung ihres Ermessens in Bezug auf eine anderweitige Kostenverteilung den Standard der Entscheidungen T 383/13 und T 1079/07 anzuwenden und nicht den der Entscheidung T 937/04. Vorliegend hätte die Kammer die mündliche Verhandlung auch bei frühzeitiger Unterrichtung durch den Beschwerdeführer nicht abgesetzt, da sie in der Sache entscheiden und die Angelegenheit am anberaumten Verhandlungstermin zum Abschluss bringen wollte. Die mündliche Verhandlung war daher keineswegs überflüssig.
In T 1699/15 hatte der Beschwerdeführer (Patentinhaber) sein Nichterscheinen erst spät angekündigt, nämlich um 14 Uhr am Vortag der mündlichen Verhandlung. Insbesondere wegen des Fehlens objektiver Anhaltspunkte für ein bewusst irreführendes oder missbräuchliches Verhalten beschloss die Kammer, von einer abweichenden Kostenverteilung abzusehen. Die Ladung zur mündlichen Verhandlung war nicht nur durch den Hilfsantrag des Beschwerdegegners (Einsprechenden) veranlasst worden, sondern auch der Notwendigkeit geschuldet, unter anderem über die Frage des technischen Vorurteils zu verhandeln, wie in der vorläufigen Auffassung ausgeführt wurde. Da die Kammer nicht bekannt gegeben hatte, dass die mündliche Verhandlung möglicherweise abgesetzt würde, nachdem der Beschwerdeführer sein Fernbleiben angekündigt hatte, konnte der Beschwerdegegner nicht darauf vertrauen, dass er obsiegen würde, und musste sich darauf vorbereiten, zu den Gründen Stellung zu nehmen.
In T 1079/07 hat die Kammer festgelegt, dass die Unterrichtung des EPA und der anderen Beteiligten über das Nichterscheinen in der mündlichen Verhandlung keine verfahrensrechtliche Pflicht, sondern vielmehr eine Frage der gebührenden Höflichkeit und des Respekts ist (s. auch T 69/07). Damit eine späte Mitteilung, nicht an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, als "leichtfertiges oder gar böswilliges schuldhaftes Handeln" (s. T 937/04) erachtet wird, muss eine solche Behauptung durch starke Beweise gestützt werden.
In T 1441/06 hatten die Beschwerdegegner keine mündliche Verhandlung beantragt. Sie hatten nicht auf die Mitteilung der Kammer reagiert und hatten offenbar auch nicht die Absicht, zu erscheinen bzw. das EPA über ihr beabsichtigtes Fernbleiben zu unterrichten. Ein Beschwerdeführer hatte eine mündliche Verhandlung beantragt, wenn auch nur hilfsweise. Die mündliche Verhandlung war aber nicht nur auf Antrag der Beschwerdeführer angesetzt worden, sondern auch, weil die Kammer selbst in der Lage sein wollte, in der Sache zu entscheiden. Sie hätte die mündliche Verhandlung also auch dann nicht abgesagt, wenn die Beschwerdegegner bereits früh mitgeteilt hätten, dass sie nicht teilnehmen werden. Unter diesen Umständen sah die Kammer keinen triftigen Grund, von der üblichen Regel abzuweichen, dass jeder Beteiligte seine eigenen Kosten trägt.
In T 65/05 machte der Beschwerdegegner geltend, dass er seinerseits ebenfalls wie der Beschwerdeführer nicht an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hätte, wäre er rechtzeitig vom Fernbleiben der Gegenpartei in Kenntnis gesetzt worden. Der Kammer erschien es im vorliegenden Fall fraglich, ob die mündliche Verhandlung deswegen hätte unterbleiben können bzw. ob der Beschwerdegegner dann jedenfalls nicht daran teilgenommen hätte bzw. seinen Antrag auf Verhandlung zurückgenommen hätte. Die hilfsweise Abhaltung einer mündlichen Verhandlung hatten beide Parteien beantragt. Die Ladung dazu erging ohne eine sachliche Stellungnahme durch die Kammer, insbesondere ohne eine Ankündigung oder Andeutung, dass sie voraussichtlich zugunsten des Beschwerdegegners entscheiden würde. Der Beschwerdegegner konnte daher nicht darauf vertrauen, dass er im Falle seines Fernbleibens von der mündlichen Verhandlung allein aufgrund des schriftlichen Vorbringens obsiegen würde. Unter diesen besonderen Umständen hielt es die Kammer für wahrscheinlich, dass der Beschwerdegegner und Patentinhaber auch bei bekannter Absage der Gegenpartei zur mündlichen Verhandlung erschienen wäre, um seine Interessen wahrzunehmen. Der Antrag auf anderweitige Kostenverteilung wurde somit zurückgewiesen (s. auch T 190/06 und T 1361/09).
In T 435/02 hatten sowohl der Beschwerdeführer als auch der Beschwerdegegner hilfsweise eine mündliche Verhandlung beantragt. Zum Zeitpunkt der Antragstellung wollte der Beschwerdegegner an der mündlichen Verhandlung teilnehmen, um sicherzustellen, dass die Kammer die angefochtene Entscheidung nicht aufheben würde, ohne dass er Gelegenheit hätte, seinen Fall mündlich vorzutragen. In Reaktion auf die Ankündigung des Beschwerdeführers, dass er in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten sein werde, kündigte der Beschwerdegegner seinerseits sein Fernbleiben an und bemerkte dazu, dass er an der mündlichen Verhandlung nur habe teilnehmen wollen, um "den Vortrag des Patentinhabers während dieser Verhandlung zu entkräften". Obgleich die Kammer die Beteiligten ausdrücklich informierte, dass die mündliche Verhandlung wie geplant stattfinden werde, blieb der Beschwerdegegner fern. Der Beschwerdegegner beantragte eine abweichende Kostenverteilung, da der Beschwerdeführer seinen Antrag auf mündliche Verhandlung so spät zurückgezogen habe, dass dem Beschwerdegegner Kosten entstanden seien, die nicht wiedererlangt werden könnten. Die Kammer wies den Antrag des Beschwerdegegners mit der Begründung zurück, dass dessen Fernbleiben entgegen seiner Behauptung nicht in Reaktion auf die angekündigte Nichtteilnahme des Beschwerdeführers erfolgt war, sondern aufgrund seines Entschlusses, nicht wie beantragt die Gelegenheit wahrzunehmen, seinen Fall mündlich vorzutragen.
In T 1071/06 hatte der Beschwerdeführer etwa einen Monat nach dem Erhalt der Ladung mit dem Bescheid der Kammer mitgeteilt, dass er nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen werde. Nach Auffassung der Kammer war dieser Zeitraum auf jeden Fall angemessen, da dem Beschwerdeführer zugebilligt werden muss, die Erfolgsaussichten seines Rechtsmittels unter anderem im Hinblick auf die Ausführungen im Ladungsbescheid zu überprüfen und zu bewerten und über sein weiteres Vorgehen im Verfahren zu entscheiden.
In T 275/89 (ABl. 1992, 126) hatte der Vertreter des Beschwerdeführers einen Antrag auf Vertagung der für den 3. Mai anberaumten mündlichen Verhandlung mit der Begründung gestellt, der Beschwerdeführer könne wegen Krankheit in der mündlichen Verhandlung nicht erscheinen. Der Antrag auf Vertagung wurde so spät gestellt, nämlich am 30. April am Nachmittag, dass wegen des darauf folgenden Feiertags der Beschwerdegegner nicht mehr rechtzeitig verständigt werden konnte. Er war nämlich bereits am Nachmittag des 1. Mai abgereist. Der Antrag auf Vertagung wurde schließlich abgelehnt und die mündliche Verhandlung fand in Abwesenheit des Beschwerdeführers statt. Der Beschwerdegegner beantragte eine anderweitige Kostenverteilung mit der Begründung, er wäre ebenfalls nicht erschienen, wenn er gewusst hätte, dass der Beschwerdeführer nicht dabei sein würde. Die Kammer war allerdings der Auffassung, dass der von dem Beschwerdegegner gewählte frühe Reiseantritt nicht zulasten des Beschwerdeführers gehen könne. Außerdem komme es nur darauf an, ob das Fernbleiben des Beschwerdeführers die mündliche Verhandlung unnötig mache. Diese Frage sei zu verneinen. Der Antrag auf Kostenverteilung wurde somit abgelehnt. So wurde auch in T 1856/10 entschieden, wo eine ärztlich attestierte, plötzliche und unerwartete Erkrankung des Vertreters der Beschwerdeführerin sein Erscheinen verhinderte. Hier wurde es für ausreichend erachtet, dass die Kammer und die Gegenseite nicht schon am Morgen des Vortags der Verhandlung von den ersten Anzeichen seiner Erkrankung unterrichtet wurden, sondern erst nach seinem Arztbesuch am Nachmittag des Vortages.
In T 849/95 stellte der Beschwerdegegner einen Antrag auf Kostenverteilung, da der Beschwerdeführer nicht rechtzeitig mitgeteilt hatte, dass er an der auch von ihm beantragten mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen würde. Die Beschwerdekammer lehnte den Antrag ab, da die mündliche Verhandlung nicht nur aufgrund der Anträge beider Parteien erfolgte, sondern weil auch sie eine weitere Sachaufklärung von Seiten des Beschwerdegegners benötigt hatte. Die mündliche Verhandlung wäre auch dann nicht abgesetzt worden, wenn die Absage des Beschwerdeführers rechtzeitig eingegangen wäre.
In T 838/92 war der Beschwerdeführer der mündlichen Verhandlung ferngeblieben. Der Beschwerdegegner hatte die anderweitige Verteilung der Kosten beantragt, da er mit sieben Zeugen erschienen war. Die Kammer lehnte den Antrag ab, weil die Zeugen auf Veranlassung des Beschwerdegegners geladen worden waren, um die von ihm geltend gemachten Vorbenutzungen zu beweisen. Es bestehe daher kein Grund, die Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (vgl. auch T 273/07).
In T 1389/13 hatten beide Beschwerdeführer eine mündliche Verhandlung beantragt. Sie wurde daher anberaumt, und die Beteiligten wurden geladen. Die Kammer stellte fest, dass, selbst wenn die Erklärung des Beschwerdeführers II, nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen zu wollen, einer Zurücknahme seines Antrags auf mündliche Verhandlung entsprechen würde, der Antrag der Beschwerdeführerin I auf mündliche Verhandlung anhängig blieb und die mündliche Verhandlung somit abgehalten werden musste. Das empfundene Fehlverhalten des Beschwerdeführers II, der seine Absicht, nicht an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, früher hätte mitteilen müssen, war folglich nicht der Grund für die Teilnahme des Beschwerdeführers I an der mündlichen Verhandlung. Die Kammer befand, dass das Verhalten des Beschwerdeführers II für den Beschwerdeführer I keinen Nachteil gebracht hatte.
In T 938/14 hatten beide am Beschwerdeverfahren Beteiligten eine mündliche Verhandlung für den Fall beantragt, dass die Kammer nicht gewillt war, ihren jeweiligen Standpunkten zu folgen. Aus der Mitteilung der Kammer war eindeutig hervorgegangen, dass eine mündliche Verhandlung stattfinden musste, weil dem Antrag des Beschwerdeführers auf Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des Hauptantrags nicht stattgegeben werden konnte. Zwar hätte der Vertreter des Beschwerdeführers den Vertreter des Beschwerdegegners aus professioneller Höflichkeit darüber informieren können, dass er nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen werde, aber die Gegenpartei hätte auch um Klarstellung bitten können. Die Kammer konnte deshalb im Schreiben des Beschwerdeführers keine schuldhaften Handlungen unverantwortlicher oder gar böswilliger Art erkennen, die eine Verteilung der dem Beschwerdegegner durch die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung entstandenen Kosten gerechtfertigt hätten.
- T 846/22
Zusammenfassung
In T 846/22 the respondent (patent proprietor) had requested that its costs from the first and second instance proceedings should be charged to the appellant (opponent). The respondent argued that these costs were incurred through an abuse of procedure by the appellant, namely acting throughout the opposition and appeal proceedings whilst being a dormant company with the aim of circumventing possible remedies given to the parties by Art. 104 EPC. The board noted that acting on behalf of a third party could not be seen as a circumvention of the law unless further circumstances were involved (G 3/97, OJ 1999, 245, point 3.2 of the Reasons) and there was no requirement under the EPC that a party be equipped with sufficient financial means to comply with a merely hypothetical costs order. Moreover, the EPC did not offer the patent proprietor any kind of guarantee that an opponent would be able in fact to reimburse costs awarded against him (G 3/97, point 3.2.6 of the Reasons). Hence, the board concluded that there was no abuse of procedure in this respect and refused this request for apportionment of costs.
The respondent had further requested that its costs incurred for the preparation of the oral proceedings be charged to the appellant, who had only informed the board the day before the oral proceedings that it would not attend them. In particular, the respondent argued that, had it been informed, the costs for the preparation of at least part of the oral proceedings would not have been incurred, in view of the board's preliminary opinion, which was favourable to the respondent in respect of a number of issues. The board stated that the oral proceedings would have had to have taken place anyway. This was because of the respondent's auxiliary request for oral proceedings. Hence, in contrast to the case underlying T 475/07, the appellant's conduct had had no impact on the necessity of holding oral proceedings. The board noted that even when all parties attended oral proceedings, it was possible that not all the issues addressed in the preliminary opinion would be discussed, since for some of them the parties could refer to their written submissions. The board also pointed out that the respondent could not be sure that the preliminary opinion would be maintained in the oral proceedings. Deciding not to be prepared for an issue which could potentially be discussed at the oral proceedings, irrespective of the board's preliminary view on the issue, always involves some risk and it is the parties' responsibility to decide what to prepare for. In any case, it could not be asserted beforehand that the board's preliminary opinion would have rendered the oral proceedings unnecessary. For these reasons, the board did not consider it equitable to order the apportionment of costs in favour of the respondent. Hence, this request was refused too.