4.5.4 Aufzeigen durch den Beteiligten von stichhaltigen Gründen für das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände
In T 2486/16 betonte die Kammer, dass ein Beteiligter, wenn er in der in Art. 13 (2) VOBK 2020 genannten Beschwerdephase neues Vorbringen einreicht, bei der Angabe "stichhaltiger Gründe" nicht nur die geltend gemachten Umstände darlegen und erläutern sollte, warum sie als außergewöhnlich betrachtet werden sollten, sondern auch erklären sollte, warum diese Umstände unmittelbar zur Folge hatten, dass der Beteiligte seine Anträge nicht früher einreichen konnte. Im vorliegenden Fall hatte der Beschwerdeführer, der den betreffenden neuen Antrag einreichte und der der Rechtsnachfolger des ursprünglichen Anmelders war, ein Insolvenzverfahren und einen Rechtsübergang als außergewöhnliche Umstände geltend gemacht. Selbst wenn diese Schwierigkeiten, in denen sich der ursprüngliche Anmelder befunden habe, als außergewöhnliche Umstände im Sinne von Art. 13 (2) VOBK 2020 betrachtet würden, war nach Ansicht der Kammer jedoch das Erfordernis der Herstellung eines kausalen Zusammenhangs nicht erfüllt. Der neue Beschwerdeführer habe keine Beweismittel dafür vorgelegt, dass sich der ursprüngliche Anmelder zum Zeitpunkt der Einreichung der Beschwerdebegründung, d. h. zu dem Zeitpunkt, als Hilfsanträge, auf die sich der Beschwerdeführer berufen wollte, gemäß Art. 12 (3) VOBK 2020 hätten eingereicht werden müssen, in solchen Schwierigkeiten befunden habe. Siehe auch T 482/19 und T 2463/16.
In T 2539/16 merkte die Kammer an, dass die Einreichung neuer Anträge mehr als acht Monate nach der Mitteilung gemäß Art. 15 (1) VOBK 2020 und nur wenige Wochen vor der mündlichen Verhandlung auch dann nicht unter Art. 13 (2) VOBK 2020 zu rechtfertigen gewesen wäre, wenn die Mitteilung unerwartete Ausführungen enthalten hätte.
Ebenso betonte die Kammer in der Sache T 1707/17, die einen während der mündlichen Verhandlung eingereichten Antrag betraf, dass nach Art. 13 (2) VOBK 2020 der Beteiligte nicht nur erklären muss, warum in der Sache außergewöhnliche Umstände vorlagen, sondern auch, warum seine Änderung sowohl inhaltlich als auch zeitlich eine gerechtfertigte Reaktion auf diese Umstände darstellt. Insbesondere wenn ein Beteiligter sein Vorbringen in einem sehr späten Stadium des Verfahrens ändern wolle, sollten die in Art. 13 (2) VOBK 2020 genannten stichhaltigen Gründe auch Gründe dafür umfassen, warum eine solche Änderung nicht früher habe eingereicht werden können. In diesem Zusammenhang verwies die Kammer auf T 1033/10, worin in Bezug auf Art. 13 (1) VOBK 2007 festgestellt wurde, dass der Stand des Verfahrens und die gebotene Verfahrensökonomie zusammengenommen für einen Beteiligten das Erfordernis impliziert, geeignete Anträge möglichst frühzeitig vorzulegen, wenn solche Anträge zugelassen und berücksichtigt werden sollen. Im vorliegenden Fall lagen nach Ansicht der Kammer keine derartigen stichhaltigen Gründe vor.
In anderen Entscheidungen wurde jedoch kein solcher kausaler Zusammenhang verlangt. In T 545/18 hatte der Beschwerdeführer erstmals während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer argumentiert, dass im Prüfungsverfahren gegen seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verstoßen wurde. Die Kammer erkannte an, dass angesichts der großen Bedeutung dieses Rechts und der Tatsachen, dass von der verspäteten Einreichung kein anderer Beteiligter betroffen war und dass die Kammer in der Lage war, eine Entscheidung in dieser Frage zu treffen, ohne die mündliche Verhandlung verlegen zu müssen, außergewöhnliche Umstände im Sinne von Art. 13 (2) VOBK 2020 vorlagen. Für eine weitere Entscheidung, bei der "außergewöhnliche Umstände" weit ausgelegt wurden, siehe T 713/14 (zusammengefasst in Kapitel V.A.4.5.4 a)).
- T 2843/19
Orientierungssatz:
Zur Notwendigkeit einer rechtzeitigen Replik:
1. Unter der seit 1. Januar 2020 geltenden Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) obliegt es den Parteien, ihren Vortrag so rechtzeitig im Verfahren zu bringen, dass die Beschwerdekammer ihn bereits bei Abfassung des Ladungsbescheids berücksichtigen kann.
2. Soweit die Beschwerdeführerin einen Teil ihres Vortrags nicht, wie es Artikel 12 Abs. 3 VOBK 2020 eigentlich fordert, bereits in der Beschwerdebegründung unterbreiten kann, weil es sich um die Antwort auf Angriffe bzw. Hilfsanträge handelt,die nicht bereits Gegenstand der angegriffenen Entscheidung waren, sondern von der Beschwerdegegnerin in der Beschwerdeerwiderung unterbreitet wurden, stellt eine Replik hierauf für die Beschwerdeführerin das geeignete Mittel der Wahl dar, um ihre Antwort rechtzeitig vorzubringen. Gerade aus diesem Grund sieht Artikel 15 (1) VOBK 2020 vor, dass die Kammer sich bemüht, nicht früher als zwei Monate nach Erhalt der Beschwerdeerwiderung (gemäß Artikel 12 (1) c) VOBK 2020) die Ladung zu versenden.
3. Das Argument, es sei nicht zumutbar, Kaskaden von Argumentationslinien im Hinblick auf jede denkbare Einschätzung der Kammer vortragen zu müssen, greift nicht. Im zweiseitigen Beschwerdeverfahren trifft die Parteien die Pflicht zur sorgfältigen und beförderlichen Verfahrensführung, aus Gründen der Fairness gegenüber der anderen Partei, aber auch um das Verfahren innerhalb einer angemessenen Verfahrensdauer zum Abschluss zu bringen. Artikel 13 (2) VOBK 2020 sanktioniert diese Pflicht zur Verfahrensförderung.
4. Das Argument der Beschwerdeführerin, es sei der Kammer und auch der Patentinhaberin zumutbar, sich in der mündlichen Verhandlung mit der Diskussion eines einfachen neuen Sachverhaltes zu beschäftigen, lässt den Einfluss auf den weiteren Verfahrensverlauf außer Acht. Die erstmalige Diskussion einer Argumentationslinie in der mündlichen Verhandlung mag zu einer Situation führen, in der die andere Partei ihre Verteidigungslinie erstmalig in der mündlichen Verhandlung überdenken und ggf. anpassen muss, was zu einer deutlichen Verzögerung des Verfahrens führen und eine sachgerechte ntscheidung in der mündlichen Verhandlung erschweren oder unmöglich machen kann.
- T 1869/18
Catchword:
While objections raised by the Board for the first time in a communication under Article 15(1) RPBA 2020 may be considered to give rise to exceptional circumstances within the meaning of Article 13(2) RPBA 2020, and may possibly justify the filing of amendments which specifically respond to the new objections, this does not open the door to additional amendments which are unrelated to the new objections, and for which no exceptional circumstances exist (Reasons, point 3.10).- T 1190/17
- Catchword/headnote...
- Jahresbericht: Rechtsprechung 2022
- Zusammenfassungen der Entscheidungen in der Verfahrensprache