11.3. Beschwerde, die als nicht eingelegt gilt
Die Unterscheidung zwischen einer Beschwerde, die als nicht eingelegt gilt, und einer unzulässigen Beschwerde ist für die Frage der Rückzahlung der Beschwerdegebühr relevant. Gilt die Beschwerde als nicht eingelegt, muss die Beschwerdegebühr zurückgezahlt werden, weil der mit der Gebühr verfolgte Zweck nicht erreicht werden kann. Ist eine Beschwerde dagegen unzulässig, kann die Beschwerdegebühr grundsätzlich nicht zurückgezahlt werden (T 445/98; s. auch T 372/99 und T 752/05).
Der Präsident des Europäischen Patentamts hat der Großen Beschwerdekammer aufgrund divergierender Rechtsprechung zu dieser Unterscheidung eine Rechtsfrage vorgelegt. Die Große Beschwerdekammer beantwortete in der Stellungnahme G 1/18 (ABl. 2020, A26) die Frage, ob eine Beschwerde als nicht eingelegt oder als unzulässig zu behandeln ist, wenn die in Art. 108 EPÜ vorgesehene Frist von zwei Monaten wegen verspäteter Zahlung der Beschwerdegebühr und/oder verspäteter Einreichung der Beschwerdeschrift nicht eingehalten wird. Diese Frage war der Großen Beschwerdekammer zuvor in G 1/14 und G 2/14 gestellt worden – sie wurde jedoch nicht behandelt, weil in G 1/14 die Vorlage für unzulässig befunden und in G 2/14 die Patentanmeldung fallen gelassen wurde.
Laut G 1/18 sollten die unterschiedlichen Fallkonstellationen, die unter die Vorlagefrage fallen und in der bisherigen Rechtsprechung vorkamen, wie nachstehend beschrieben behandelt werden.
Die Beschwerde gilt in folgenden Fällen als nicht eingelegt: a) wenn die Beschwerdeschrift innerhalb der in Art. 108 Satz 1 EPÜ vorgesehenen Frist von zwei Monaten eingereicht UND die Beschwerdegebühr nach Ablauf dieser Frist von zwei Monaten entrichtet wird; b) wenn die Beschwerdeschrift nach Ablauf der in Art. 108 Satz 1 EPÜ vorgesehenen Frist von zwei Monaten eingereicht und die Beschwerdegebühr nach Ablauf dieser Frist von zwei Monaten entrichtet wird; c) wenn die Beschwerdegebühr innerhalb der in Art. 108 Satz 1 EPÜ vorgesehenen Frist von zwei Monaten für die Einreichung der Beschwerdeschrift entrichtet und die Beschwerdeschrift nach Ablauf dieser Frist von zwei Monaten eingereicht wird.
In den vorstehenden Fällen a, b und c wird die Rückzahlung der Beschwerdegebühr von Amts wegen angeordnet.
Wenn die Beschwerdegebühr innerhalb oder nach Ablauf der in Art. 108 Satz 1 EPÜ vorgesehenen Frist von zwei Monaten für die Einreichung der Beschwerdeschrift entrichtet und die Beschwerdeschrift nicht eingereicht wird, wird die Beschwerdegebühr zurückgezahlt.
Damit revidierte die Große Beschwerdekammer tatsächlich frühere Entscheidungen, in denen bei gleicher Faktenlage wie in G 1/18 die Beschwerdegebühr nicht zurückgezahlt wurde, weil die Kammer die Beschwerde als unzulässig erachtete. Ein Überblick über einschlägige Entscheidungen vor G 1/18 siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Aufl. 2019, V.A.9.3 "Beschwerde, die als nicht eingelegt gilt, oder unzulässige Beschwerde".