5. Neues Vorbringen im Beschwerdeverfahren – Rechtsprechung zur VOBK 2007
Mitteilungen der Beschwerdekammern nach Art. 15 (1) VOBK 2007 dienen der Vorbereitung der mündlichen Verhandlung; sie sind keine Aufforderung an die Verfahrensbeteiligten, weitere Vorbringen oder Anträge einzureichen (T 1459/11 und T 1862/12; s. auch T 752/16 und T 995/18 die diese Rechtsprechung auch für Art. 15 (1) VOBK 2020 bestätigen).
In T 1168/08 ließ die Kammer die Begründung für die verspätete Einreichung der neuen Anträge – nämlich dass sie als Reaktion auf die Mitteilung der Kammer eingereicht worden seien – hier nicht gelten, weil die Argumentation in der vorläufigen Stellungnahme der Kammer inhaltlich mit der Argumentation des Beschwerdegegners in seiner Erwiderung auf die Beschwerdebegründung übereinstimmte. Eine Mitteilung der Kammer nach Art. 15 (1) VOBK 2007 soll als Orientierungshilfe für die mündliche Verhandlung dienen. Sie hilft den Verfahrensbeteiligten, ihre Argumentation auf Aspekte zu konzentrieren, die die Kammer im Hinblick auf ihre Entscheidungsfindung als wesentlich erachtet. Enthält die Mitteilung der Kammer eine vorläufige Stellungnahme, der ausschließlich die von den Parteien angesprochenen Punkte und deren Argumente zugrunde liegen, so kann diese Mitteilung nicht als Rechtfertigung für die Einreichung neuer Anträge dienen, die die Beteiligten schon früher hätten einreichen können (s. auch T 253/10, T 582/12).
In T 30/15 machte der Beschwerdeführer geltend, dass die Kammer in ihrer vorläufigen Auffassung einen neuen, die ausreichende Offenbarung betreffenden Einwand erhoben und er aus diesem Grund schnellstmöglich das neue Dokument T18 eingereicht habe. Die Kammer erklärte, dass der Wortlaut ihrer vorläufigen Auffassung keinen neuen Einwand darstellte, sondern lediglich eine Zusammenfassung der in der angefochtenen Entscheidung erhobenen Einwände. Die Einreichung von T18 als Reaktion auf die vorläufige Auffassung der Kammer war also nicht gerechtfertigt.
In T 598/17 wies die Kammer das Argument des Beschwerdegegners (Patentinhabers) zurück, vor der vorläufigen Einschätzung der Kammer sei nicht klar gewesen, "in welche Richtung sich die Sache entwickeln könnte". Der Beschwerdegegner hatte die verfahrensrechtliche Pflicht, durch die Einreichung entsprechender (Hilfs-)Anträge, mit denen sich die erhobenen Einwände ausräumen ließen, auf die Beschwerdebegründung zu reagieren. Auch die Kammer in T 101/15 betonte, dass von den Beteiligten erwartet wird, dass sie eine aktive Rolle spielen und in einem frühen Stadium Anträge und Sachvorträge einbringen. S. auch T 946/16.
Hingegen ließ die Kammer in T 2111/17 den in Reaktion auf ihre Mitteilung eingereichten Hilfsantrag nach Art. 13 (1) und (3) VOBK 2007 zu, da die vorgenommenen Änderungen ein zielführender Versuch waren, den in der Mitteilung erstmals erhobenen Einwand zu beseitigen.
Ebenso entschied die Kammer in T 989/15 in Bezug auf die Mitteilung nach Art. 15 (1) VOBK 2020. Enthält diese eine vorläufige Einschätzung der Kammer, die ausschließlich auf den von den Beteiligten thematisierten Punkten und deren Argumenten basiert, so kann die Mitteilung nicht als Rechtfertigung bzw. Auslöser für die Beteiligten dienen, neue Anträge einzureichen, die sie schon früher hätten einreichen können. Die Kammer war nicht vom Argument des Beschwerdeführers überzeugt, wonach von ihm nicht erwartet werden könne, in Erwiderung auf jeden von den übrigen Beteiligten erhobenen Einwand hin einen Hilfsantrag einzureichen. In Ausübung ihres Ermessens nach Art. 13 VOBK 2007 entschied sie daher, den Hauptantrag und die Hilfsanträge 1 bis 3 nicht zuzulassen, ließ aber den vierten Hilfsantrag zu.