5.5.2 Sorgfaltspflicht des zugelassenen Vertreters
In T 112/89 stellte die Kammer fest, dass bei dem Sorgfaltsgebot des Art. 122 (1) EPÜ 1973 klar zu unterscheiden sei zwischen den Pflichten des Anmelders und denen seines Vertreters, und dass die Sorgfaltspflicht des Vertreters unter Umständen von dem Verhältnis abhänge, das zwischen ihm und seinem Mandanten bestehe. Natürlich müssten sowohl der Vertreter als auch der Anmelder alle gebotene Sorgfalt bei der Einhaltung der Fristen im Patenterteilungsverfahren beachten. Im vorliegenden Fall sei sie jedoch nicht davon überzeugt, dass der Vertreter seine Pflicht voll und ganz erfüllt habe, wenn er sich damit begnüge, seinem Mandanten mitzuteilen, dass eine Frist zu beachten sei, und sich davon zu überzeugen, dass dieser die Mitteilung auch erhalten habe. Ein Vertreter, der angewiesen worden sei, Beschwerde einzulegen, und von seinem Mandanten zu gegebener Zeit die zur Wahrnehmung seiner Aufgabe erforderlichen weiteren Anweisungen nicht erhalte, müsse sich vielmehr aktiv darum bemühen, diese Anweisungen von seinem Mandanten zu bekommen.
In T 1401/05 vom 20. September 2006 date: 2006-09-20 stellte die Kammer fest, dass die Kommunikation zwischen dem Vertreter und seinem Mandanten (Anmelder) gut funktioniert hatte. Der Vertreter durfte sich daher darauf verlassen, dass seinem Mandanten der Fristablauf bewusst war. Der Vertreter musste keine weitere Erinnerung schicken, um seiner Sorgfaltspflicht zu genügen.
In T 1289/10 stellte die Kammer klar, dass bei einem europäischen Vertreter, der eine E-Mail-Adresse für alle Arten von Post angebe – einschließlich der Post, die eine sofortige Reaktion des Vertreters erfordern könnte -, zumindest am Ende eines jeden Geschäftstags der E-Mail-Eingang überprüft werden müsse. Da bekannt sei, dass seriöse E-Mails manchmal fälschlicherweise als potenziell gefährlich eingestuft würden, müsse diese Überprüfung selbstverständlich auch den Quarantäne-Bereich des Mailsystems umfassen.
In T 1101/14 befand die Kammer, dass die Unterzeichnung von Dokumenten besonderer Sorgfalt des Vertreters bedarf, vor allem wenn die Unterschrift den letzten Rechtsbehelf gegen eine abschlägige Entscheidung betrifft. Bei einem Vertreter, der irrtümlich eine Beschwerdebegründung unterzeichnet hat, bei der die meisten Seiten fehlten, sei davon auszugehen, dass er – sofern keine besonderen Umstände vorliegen, die seinen Fehler entschuldigen könnten – nicht alle nach den gegebenen Umständen gebotene Sorgfalt beachtet hat.
In J 15/14 erklärte die Juristische Kammer, bei einem ordnungsgemäßen Workflow zwischen den Büros zweier Vertreter, von denen das eine dem anderen Anweisungen gibt, ist eine Bestätigung des anderen Vertreters erforderlich, dass die betreffende Anweisung eingegangen ist und ausgeführt wurde. Geht diese Bestätigung nicht ein, sollte eine weitere E-Mail geschickt werden, um die Rechte des Mandanten zu wahren.