3. Klarheit der Ansprüche
In T 238/88 (ABl. 1992, 709) wurde festgestellt, dass die Klarheit eines Anspruchs nicht schon durch die Breite eines darin enthaltenen Fachbegriffs (z. B. "Alkyl") beeinträchtigt ist, wenn die Bedeutung dieses Begriffs – an sich oder anhand der Beschreibung – für den Fachmann eindeutig ist (s. auch T 950/97, T 103/00, T 1173/03, T 2068/10, T 745/11; s. auch dieses Kapitel II.A.6).
In T 935/14 wies die Kammer jedoch auch darauf hin, dass breite Merkmale nur dann als klar gelten können, wenn der Fachmann die Grenzen des – breiten – Schutzumfangs eindeutig ableiten kann. Dies macht den Unterschied zwischen breit, aber klar und breit und vage.
In T 523/91 führten die Formulierungen "Kunststoffen in Verbindung mit Einlagen" sowie "diese Einlage gewickelt oder gefaltet mit dem Kunststoffgranulat verbunden" nach Meinung der Kammer nicht zu einem unklaren Anspruchsgegenstand im Sinne von Art. 84 EPÜ 1973, da die Art der Verbindung zwar mehrere Möglichkeiten umfasse, daraus aber wohl ein breiter, nicht aber ein unklarer Anspruchsgegenstand resultiere. Die Anspruchsbreite könne jedoch nicht als solche, sondern nur im Zusammenhang mit anderen Kriterien, wie z. B. Neuheit, erfinderische Tätigkeit oder Ausführbarkeit, angegriffen werden.
Auch in T 688/91 präzisierte die Kammer, dass die Breite eines Anspruchs nicht mit Mangel an Klarheit gleichzusetzen ist. Der Anspruch lautete: "Integrierte mikroprogrammierte Vorrichtung [...] mit einer Vorrichtung zur Erzeugung der T-States [...] dadurch gekennzeichnet, dass [...] die Erzeugung der T-States [...] jeweils in Abhängigkeit von vorhergehenden T-States und von Zustandsparametern wie den Momentanwerten von Zustands- bzw. Modussignalen [...] erfolgt und [...]". Selbst wenn das Wort "wie" als "beispielsweise" verstanden wird, sodass die anschließenden Angaben als nicht einschränkend zu interpretieren sind, ist nach Auffassung der Kammer das Wort "Zustandsparameter" insofern klar, als es besagt, dass die T-State-Erzeugung in Abhängigkeit von irgendwelchen Größen erfolgen soll, welche einen Zustand der Vorrichtung repräsentieren. Zwar ist der Anspruch wegen der allgemeinen Interpretierbarkeit der verwendeten Begriffe als breit anzusehen; Breite ist jedoch nicht mit Mangel an Klarheit gleichzusetzen.
In T 630/93 stellte die Kammer fest, dass nach der impliziten Aussage des Art. 84 Satz 1 EPÜ 1973 in einem Anspruch technische Merkmale oder Schritte nicht immer in allen Einzelheiten angegeben werden müssten. Die wesentlichen Merkmale hätten, auch wenn sie in der Regel technisch ausgedrückt seien, häufig eine Abgrenzung der Erfindung nach außen zum Zweck und nicht die detaillierte Definition der innerhalb dieser Grenzen liegenden Erfindung. Daher seien wesentliche Merkmale oft sehr allgemeiner Natur und könnten sich in Extremfällen auf bloße Prinzipien oder einen neuen Gedanken beschränken (s. auch unter Kapitel II.C. "Ausreichende Offenbarung").
In T 29/05 wurde festgestellt, dass die Behauptung, die fraglichen Ansprüche beinhalteten einen mit dem Anmeldungsgegenstand nicht zusammenhängenden Gegenstand, rein hypothetisch war und dass die Prüfungsabteilung auch keinen Beleg für sein mögliches Vorhandensein im Stand der Technik vorgelegt hatte. Mangels eines derartigen Belegs musste davon ausgegangen werden, dass jedes einzelne anspruchsgemäße Nukleinsäuremolekül zu dem in der Anmeldung offenbarten Gegenstand in Beziehung stand. Dass eine große Zahl möglicher Nukleinsäuresequenzen unter den Anspruch fallen konnte, rechtfertigte keinen Einwand der mangelnden Klarheit.
In T 2154/11 befand die Kammer, die Einwände der Prüfungsabteilung, dass die Begriffe "metadata describing an event", "taking" und "connecting" breit seien und wohlbekannte Tätigkeiten umfassten, seien per se keine stichhaltigen Gründe für mangelnde Klarheit. Die Tatsache, dass einige dieser Verfahrensschritte so verstanden werden könnten, dass sie sich auf "gedankliche Tätigkeiten" oder "normale menschliche Tätigkeiten" beziehen, sei ebenfalls kein triftiger Grund für die Feststellung mangelnder Klarheit, solange diese Schritte wie im vorliegenden Fall keine Mehrdeutigkeit bewirkten. Wenn ein Verfahrensschritt so ausgelegt werden könne, dass er sich auf eine normale menschliche Tätigkeit beziehe, dann müsse diese Auslegung bei der Beurteilung von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit berücksichtigt werden.
Der Grundsatz, wonach ein breiter Anspruch nicht per se undeutlich ist, wurde auch in z. B. T 456/91, T 393/91, T 530/94, T 950/97, T 1345/08, T 2220/09, T 125/15, T 2676/16, T 901/16 bestätigt.