BESCHWERDEKAMMERN
Entscheidungen der Technische Beschwerdekammern
Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.3.3 vom 25. April 1991 - T 238/88 - 3.3.3*
(Übersetzung)
Zusammensetzung der Kammer:
Vorsitzender: | F. Antony |
Mitglieder: | S. Schödel |
Anmelder: Eastman Kodak Company
Stichwort: Kronenether/KODAK
Artikel: 123 (2), 83, 84, 69 (1) EPÜ
Schlagwort: "Änderung eines Anspruchs (zulässig)" - "ausreichende Offenbarung - einschlägige Beispiele vorhanden" - "Klarheit -weit gefaßter Fachbegriff zulässig; Auslegung von Begriffen im Anspruch anhand der Beschreibung (bejaht)"
Leitsatz
Die Klarheit eines Anspruchs wird nicht schon durch die Breiteeines darin enthaltenen Fachbegriffs (z. B. "Alkyl") beeinträchtigt, wenn die Bedeutung dieses Begriffes - an sich oder anhand der Beschreibung - für den Fachmann eindeutig ist.
Sachverhalt und Anträge
I. Die am 17. Juli 1984 eingereichte und am 26. Juni 1985 unter der Nummer 145 834 veröffentlichte europäische Patentanmeldung Nr. 84 108 391.8 wurde mit Entscheidung der Prüfungsabteilung vom 21. Januar 1988 zurückgewiesen. Dieser Entscheidung lagen die am 10. April 1987 eingereichten Ansprüche 1 bis 4 sowie die Ansprüche 5 bis 7 in der ursprünglich eingereichten Fassung zugrunde. Der Anspruch 1 lautete wie folgt:
"Ionenselektive Zusammensetzung mit
a) einem Ionophor,
b) einer Verbindung, die zur Solvatisierung des Ionophoren geeignet ist, und
c) einem hydrophoben Bindemittel,
dadurch gekennzeichnet, daß das Ionophor ein Kronenether der folgenden Struktur ist:
worin bedeuten:
p gleich 0 oder 1; wenn p gleich 1 ist, sind q und r unabhängig voneinander gleich 0 oder 1,
X und X' substituierte oder unsubstituierte Gruppen, die unabhängig voneinander ausgewählt sind aus Azo-, Azoxy-, Azomethin-, Vinylen-, Sulfoxyl-, Oxydimethylen-, Ureylen- oder Iminodicarbonylgruppen,
Y und Y' unabhängig voneinander eine Bindung oder eine Bindegruppe mit den zur Vervollständigung einer Kronenether-Ringstruktur mit bis zu 29 Atomen erforderlichen Kohlenstoff-, Schwefel-, Stickstoff- oder Sauerstoffatomen,
V, V', V1, und V1' unabhängig voneinander ausgewählt aus substituierten und unsubstituierten Methylengruppen,
Z und Z' substituierte oder unsubstituierte Gruppen, unabhängig voneinander ausgewählt aus Oxy-, Methylenoxy-, Imino-, Amido-oder Oxycarbonylgruppen,
R, R1, R' und R1' unabhängig voneinander Alkyl-, Aryl-, Cycloalkylgruppen, eine heterocyclische Gruppe, Alkoxy-, Amino-, Acylamino-, Amid-, Keto-, Carbamoyl-, Carboxy-, Alkoxycarbonyl-, Cyano-, Halo-, Nitro- oder Sulfogruppen oder eine andere Substituentengruppe mit insgesamt bis zu 60 Kohlenstoff-, Schwefel-, Stickstoff- oder Sauerstoffatomen in der Grundstruktur,
i, j, k und m unabhängig voneinander gleich 0 oder eine positive Zahl, bis zu einer Zahl derart, daß Q, Q1, Q' bzw. Q1' völlig substituiert sind,
Q, Q1, Q' und Q1' unabhängig voneinander die zur Vervollständigung eines 5- bis 14gliedrigen mono- oder polycyclischen Ringes erforderlichen Atome und
W und W1 unabhängig voneinander Bindegruppen mit insgesamt bis zu 60 Kohlenstoff-, Schwefel-, Stickstoff- oder Sauerstoffatomen in der Grundstruktur."
Die Ansprüche 2 bis 5 bezogen sich auf besondere Ausführungsarten des Anspruchs 1, und die Ansprüche 6 und 7 betrafen ionenselektive Elektroden, die Zusammensetzungen nach einem der Ansprüche 1 bis 5 umfassen.
II. Die Zurückweisung wurde damit begründet, daß der Anspruch 1 die Erfordernisse nach Artikel 84 bzw. 83 EPÜ nicht erfülle und gegen Artikel 123 (2) EPÜ verstoße.
Anlaß für die Einwände "nach Artikel 84, 83 EPÜ" waren die nachstehenden Formulierungen:
"... substituierte Gruppen ..." in den Definitionen der Substituenten X und X', V bis V1' sowie Z und Z', "... Alkyl-, Aryl-, Cycloalkylgruppen, eine heterocyclische Gruppe, Alkoxy-, Acylamino-, Alkoxycarbonylgruppen oder eine andere substituierte Gruppe (richtig: Substituentengruppe) ..." in der Definition der Substituenten R bis R1' sowie "... zur Vervollständigung eines ... Ringes erforderlichen Atome ..." in der Definition der Substituenten Q bis Q1'.
Da die Ionophoren durch diese Merkmale ungenau definiert seien, könne ein Fachmann nicht ohne weiteres feststellen, welche Zusammensetzungen die erforderliche Ionenselektivität gewährleisteten, und müßte eine unangemessen große Zahl von Tests durchführen, um die tatsächlich geeigneten Zusammensetzungen herauszufinden. Die Verallgemeinerung einer erfinderischen Idee in einem unabhängigen Anspruch sei nach dem EPÜ zwar zulässig, doch werde dieser Grundsatz "durch die in Artikel 84 EPÜ festgelegten Erfordernisse der Klarheit und Vollständigkeit eingeschränkt". Eine genaue Definition des Gegenstands, für den ein Patent erteilt werden solle, sei erforderlich, da Substituentengruppen oder beispielsweise Alkyle mit einer abweichenden Anzahl von C-Atomen die Eigenschaften der Kronenether entscheidend beeinflussen würden. Es sei nicht plausibel, daß sich alle durch den Anspruch 1 abgedeckten Zusammensetzungen mit beliebigen Substituenten für den angestrebten Zweck eigneten.
Die Aufnahme des Begriffs "insgesamt" vor dem Ausdruck "bis zu 60 ..." in den Definitionen von R bis R1' sowie von W und W1 stelle einen Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ dar. Die ursprüngliche Fassung habe gelautet "... die Gruppe(n) mit bis zu 60 C-, S-, N-oder O-Atomen in der Grundstruktur" und drei verschiedene Auslegungen zugelassen, nämlich:
a) Jedes Element kann in dieser Anzahl vorhanden sein.
b) Nur eines der Elemente C, S, N oder O kann mit bis zu 60 Atomen vertreten sein.
c) Alle genannten Elemente insgesamt dürfen höchstens in dieser Anzahl vorhanden sein.
Es treffe zwar zu, daß die vorgeschlagene Änderung die engste mögliche Auslegung darstellen könne, doch sei sie nicht direkt und eindeutig aus der ursprünglich eingereichten Anmeldung abzuleiten.
III. Am 14. März 1988 legte die Beschwerdeführerin Beschwerde ein und entrichtete die Beschwerdegebühr. In ihrer am 17. Mai 1988 vorgelegten Beschwerdebegründung brachte die Beschwerdeführerin im wesentlichen folgendes vor:
Die Erfindung sei gekennzeichnet durch eine bestimmte Klasse von Kronenethern, die sich als Ionophore in ionenselektiven Verbindungen eigneten. Auf der Grundlage zahlreicher typischer Verbindungen, die hergestellt und getestet worden seien, sei ein allgemeingültiges chemisches Strukturschema zur Definition dieser Verbindungen entwickelt worden. In diesem Schema sei die Definition der maßgeblichen "X"-Gruppe, die die beiden typischen Ringstrukturen der Kronenether ("Q") miteinander verbinde, eng, die der unwesentlichen Gruppen ("-Z-V-Y-V-Z") aber weit gefaßt.
In ihren Einwendungen gegen verschiedene Begriffe in Anspruch 1 als "ungenau" habe die Prüfungsabteilung offenbar Ungenauigkeit mit Breite verwechselt. Das EPÜ enthalte keine Bestimmung, wonach ein breiter Anspruch nicht zulässig sei. Es sei auch nicht die Frage gewesen, ob ein Fachmann nicht tatsächlich zu der Erfindung gelangen könne. Das eigentliche Problem bestehe offensichtlich darin, daß die Prüfungsabteilung es keineswegs für plausibel halte, daß sich alle durch den Anspruch 1 abgedeckten Verbindungen als ionenselektive Ionophore eigneten. Beispielsweise hätten aber Alkylgruppen, die nicht Bestandteil der Kronenether-Ringstruktur seien, keinen Einfluß auf die Ausbildung des Hohlraums, der die einzelnen Ionen umgebe. Die Argumentation der Prüfungsabteilung sei auf keinerlei Verweis auf den Stand der Technik gestützt worden, und es bestehe kein Anlaß zu der Annahme, daß Veränderungen in diesem Teil des Kronenethermoleküls zu einer Verbindung führten, die die Aufgabe nicht löse. Die Definition der unwesentlichen "R"-Gruppen, gegen die ebenfalls Einwendungen nach Artikel 84 EPÜ vorgebracht worden seien, sei so eingeschränkt worden, daß zusammengenommen maximal 60 C-, S-, N- oder O-Atome vorhanden sein dürften. Hinsichtlich der Änderung des Anspruchs 1 habe sich die Beschwerdeführerin für die engste der möglichen Auslegungen entschieden und den Inhalt der Anmeldung damit zweifellos innerhalb der Grenzen der eingereichten Fassung belassen. Der Anspruch 1 in seiner derzeitigen Fassung verstoße damit nicht gegen Artikel 123 (2) EPÜ.
IV. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und der Sache nach die Erteilung des Patents auf der Grundlage der vorliegenden Ansprüche 1 bis 7.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Die streitige Anmeldung betrifft ionenselektive Verbindungen, die Kronenether enthalten, sowie ionenselektive Elektroden, die solche Verbindungen als ionenselektive Membranen aufweisen. Als Kronenether werden cyclische Polyether bezeichnet, die - nach den Erklärungen in der Beschreibung - in der Regel 9 bis 60 Atome in der Grundstruktur und davon 3 bis 20 Sauerstoffatome oder andere Atome der Gruppe VIA aufweisen (vgl. Seite 6, vorletzter Absatz). Damit sie sich als Ionophore bzw. Ionen-Carrier eignen, müssen die Kronenether nicht nur mit einem bestimmten Ion aus einer Lösung selektiv einen Komplex bilden, sondern das Ion auch in die Lösung auf der anderen Seite der Membran transportieren können. Der Ring muß so groß sein, daß der Ionenkomplex in seiner Mitte gebildet werden kann.
3. Zunächst ist in diesem Beschwerdeverfahren zu klären, ob die Änderung des Anspruchs 1 über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht und damit gegen Artikel 123 (2) EPÜ verstößt.
Der Anspruch 1 enthält als Definitionen für die Bindegruppen W und W1 und für die Substituenten R bis R1' in der Kronenetherstruktur die folgende Passage:
"...Gruppe(n) mit insgesamt bis zu 60 Kohlenstoff-, Schwefel-, Stickstoff- oder Sauerstoffatomen in der Grundstruktur". Der Ausdruck "insgesamt" wurde im Zuge des Prüfungsverfahrens als Absicherung gegen einen Vorwurf mangelnder Klarheit aufgenommen und hat keine direkte wörtliche Entsprechung in den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen.
Auch wenn sich die oben angeführte Passage aus rein sprachlicher Sicht auf unterschiedliche Weise (vgl. Nummer II) auslegen läßt, sind doch zwei dieser möglichen Auslegungen - die von der Prüfungsabteilung als die Möglichkeiten a und b bezeichnet werden - aus technischer Sicht unrealistisch. Damit verbleibt die Möglichkeit c, wonach die Höchstzahl der verschiedenen Elemente in der Grundstruktur von Bindegruppen und Substituenten bei 60 liegt. Diese Auslegung befindet sich in voller Übereinstimmung mit den entsprechenden zusätzlichen Informationen in der Beschreibung, wonach die Substituenten R unter anderem eine oder mehrere aliphatische, aromatische oder heterocyclische Einheiten umfassen können, wie sie für Y und Y' definiert sind, die durch Oxy-, Azo-, Thio-, Sulfoxyl-, Oxycarbonyl- oder sonstige Bindegruppen gemäß dem Stand der Technik verbunden sind. Ebenso werden die Bindegruppen W und W1, die nur vorhanden sind, wenn p in der Strukturformel gleich 1 ist, so definiert, daß sie unabhängig voneinander aus einer oder mehreren solcher Einheiten bestehen, die durch die oben angeführten Gruppen miteinander verbunden sein können (vgl. Seiten 11 und 12). Als typisches Beispiel für einen Kronenether mit (alternierend) Kohlenstoff-und Sauerstoffatomen in der W-Grundstruktur ist die Formel unter LXI angegeben.
Daran ist nach Auffassung der Kammer eindeutig zu erkennen, daß die aus der Verwendung des Begriffs "insgesamt" an den genannten Stellen des Anspruchs 1 resultierende Änderung des Inhalts der streitigen Anmeldung keine wesentliche Änderung des Inhalts der ursprünglichen Anmeldung bewirkt. Auch führt sie nicht zu Unklarheiten in bezug auf die Obergrenze für die Anzahl der jeweiligen Elemente und deren Vorhandensein in der Grundstruktur der einzelnen Substituenten und Bindegruppen. Mit anderen Worten: der Anspruch 1 ist nicht in unzulässiger Weise geändert worden und gibt somit keinen Anlaß zu einer Beanstandung nach Artikel 123 (2) EPÜ. Die Ansprüche 2 bis 7 blieben unverändert.
4. Hinsichtlich der Einwände nach Artikel 83 und Artikel 84 EPÜ wird in der angefochtenen Entscheidung nicht nach diesen beiden Rechtsbestimmungen unterschieden, so daß nicht ganz klar ist, wo sie sich auf den ersten und wo auf den zweiten Aspekt bezieht.
4.1 Ohnehin ist aber die Frage, ob eine Erfindung im Sinne des Artikels 83 EPÜ ausreichend deutlich und vollständig offenbart ist, nach der ständigen Rechtsprechung nicht nur anhand des Inhalts der Ansprüche, sondern auch anhand der Angaben in der Beschreibung zu entscheiden. So ist wenigstens ein Weg zur Ausführung der Erfindung im einzelnen anzugeben. In der Offenbarung müssen keine besonderen Hinweise darauf enthalten sein, wie alle denkbaren Varianten zu erzielen sind, solange anhand der Offenbarung oder aufgrund des allgemeinen Fachwissens geeignete Varianten bekannt sind, die auch die gewünschte Wirkung entfalten (vgl. T 14/83, ABl. EPA 1984, 105; T 292/85, ABl. EPA 1989, 275; Regel 27 (1) f) EPÜ).
4.2 Die Anmeldungsunterlagen werden diesen Anforderungen in jeder Hinsicht gerecht: In der Beschreibung sind zwei allgemeine Verfahren zur Herstellung der Kronenether angegeben, die sich für die praktische Ausführung der Erfindung eignen. Zahlreiche Verbindungen sind durch ihre chemischen Formeln dargestellt und um zweckmäßige Angaben zur Herstellung der einzelnen Azo- und Azoxy-Kronenetherderivate ergänzt. Darüber hinaus sind ionenselektive Verbindungen und Elektroden beschrieben, die die genannten Kronenether enthalten. Es sind zahlreiche Tests zur Ionenselektivität durchgeführt worden, bei denen bekannte Verfahren und unterschiedliche Trägerflüssigkeiten und Kationen (wie Natrium, Kalium, Lithium, Ammonium, Magnesium und Calcium) verwendet wurden. Die entsprechenden Ergebnisse sind in den Tabellen I bis V dargestellt. So weist in Beispiel 1 eine Elektrode auf der Grundlage des Kronenethers I eine hohe Selektivität für K+- gegenüber Na+-Ionen auf, und nach Beispiel 2 ist eine Elektrode mit dem Kronenether II äußerst selektiv für Na+- gegenüber K+-Ionen sowie anderen Kationen.
4.3 Aufgrund dieser umfassenden Einzelheiten war ein Fachmann nach Auffassung der Kammer in der Lage, die Lehre der streitigen Anmeldung in allen wesentlichen Aspekten auszuführen; etwaige noch fehlende Angaben waren dem allgemeinen Fachwissen zu entnehmen. Falls bei der Suche nach nicht ausdrücklich offenbarten geeigneten Kombinationen von Substituenten und Bindegruppen gelegentlich Versuche erforderlich würden, wären diese nicht unangemessen aufwendig und erforderten auch keine erfinderische Tätigkeit.
Die Prüfungsabteilung hat der Offenbarung in der Beschreibung aber keine Beachtung geschenkt. Insbesondere hat sie auch weder die Wiederholbarkeit der Versuche noch die Richtigkeit der Ergebnisse in Frage gestellt.
Der Einwand der unzureichenden Offenbarung der Erfindung ist somit unbegründet.
5. Ferner betrifft die Beschwerde den Artikel 84 EPÜ, wonach die Patentansprüche den Gegenstand, für den Schutz begehrt wird, genau angeben müssen. Offensichtlich veranlaßte das Erfordernis der Klarheit die Prüfungsabteilung zu ihrer Beanstandung der Definitionen "substituierte Gruppen", "Alkyl-, Aryl- ... oder eine andere Substituentengruppe mit insgesamt bis zu 60 Kohlenstoff-, Schwefel-, Stickstoff- oder Sauerstoffatomen in der Grundstruktur" und "zur Vervollständigung eines ... Ringes erforderlichen Atome" im Anspruch 1 der Streitanmeldung (vgl. Nummer II).
5.1 Bei näherer Betrachtung kann der Standpunkt der Prüfungsabteilung jedoch nicht aufrechterhalten werden.
Das beanstandete Merkmal "Alkyl" in der Definition der Substituenten R bezieht sich zweifellos auf einen bekannten Fachbegriff, der im Bereich der Chemie allgemein gebräuchlich ist und nicht - wie von der Prüfungsabteilung vorgebracht - unklar oder mehrdeutig, sondern als solcher klar ist. Daß dieser Fachbegriff weit gefaßt ist, steht - sofern keine stichhaltigen Gründe vorliegen - seiner Verwendung im Anspruch nicht im Wege. Bei der diesbezüglichen Kritik der Prüfungsabteilung handelt es sich um eine bloße Behauptung, die durch keine Beweismittel oder Verweise auf den Stand der Technik gestützt ist.Dieselben Erwägungen gelten mutatis mutandis auch für die in der Aufstellung folgenden Merkmale "Aryl-, Cycloalkylgruppen, eine heterocyclische Gruppe, ... Alkoxycarbonyl".
5.2 Die Tatsache, daß die Merkmale "... eine andere Substituentengruppe mit ... bis zu 60 ... Atomen in der Grundstruktur" (vgl. Substituenten R) und "... zur Vervollständigung eines ... Ringes erforderlichen Atome" (vgl. Bindegruppen Q) keine gebräuchlichen Fachbegriffe im eigentlichen Sinne sind, schließt nicht aus, daß sie klar und knapp gefaßt sind, da nach Artikel 69 (1) EPÜ die Beschreibung zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen ist.
Bei Anwendung dieses Prinzips auf den vorliegenden Fall wird bei eingehenderer Betrachtung der Beschreibung deutlich, daß "Substituentengruppen" in der Regel "eine oder mehrere aliphatische, aromatische oder heterocyclische Einheiten umfassen können, wie sie für Y und Y' definiert sind, die durch Oxy-, Azo-, Thio-, Sulfoxyl-, Oxycarbonyl- oder sonstige Bindegruppen gemäß dem Stand der Technik verbunden sind" (vgl. Seite 11, Absatz 2; zu Y und Y' siehe Seite 8 unten und Seite 9 oben).
Auf die durch das Symbol Q gekennzeichneten Ringstrukturen wird auf Seite 10, Absatz 2 detailliert eingegangen, wo Beispiele für "vollständige" 5- bis 14gliedrige mono- oder polycyclische aromatische oder heterocyclische Systeme wie beispielsweise Pyran oder Benzothiazol angegeben sind.
Schließlich könnte noch der Begriff "substituierte Gruppen", der in Verbindung mit den Definitionen der Bindegruppen X, V und Z auftritt, einer Erläuterung bedürfen. Auf Seite 7 sind mögliche Substituenten aufgeführt, die Wasserstoffatome in den wasserstoffhaltigen X-Bindegruppen ersetzen können. Substituenten für die V- und Z-Gruppen sind von Seite 9, Zeile 35 bis Seite 10, Zeile 3 und in einigen Beispielen, so unter XLIV, aufgeführt. Im Falle der kritischen X- und X'-Gruppen umfaßt diese Auflistung im wesentlichen
1. eine Alkylgruppe, z. B. mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen ...,
2. eine Arylgruppe, z. B. eine Phenyl- oder Naphthylgruppe ...,
3. eine Cycloalkylgruppe, z. B. mit 5 bis 7 Kohlenstoffatomen ...,
4. eine heterocyclische Gruppe mit 5 bis 7 Atomen im Ring, z. B. eine Pyridyl- oder Furylgruppe,
5. eine Alkoxygruppe oder
6. eine Aryloxygruppe (vgl. Seite 7).
Diese Aspekte sind im Prüfungsverfahren nicht in Frage gestellt oder erörtert worden.
Somit ist bei korrekter Auslegung des Anspruchs 1 anhand der Beschreibung derzeit keine Änderung dieses Anspruchs im Hinblick auf Artikel 84 EPÜ bzw. zur Einschränkung der Lehre der streitigen Anmeldung erforderlich.
6. Aus den obigen Gründen kann die angefochtene Entscheidung nicht aufrechterhalten werden.
...
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Entscheidung der Prüfungsabteilung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird zur weiteren Entscheidung auf der Grundlage der derzeitigen Ansprüche 1 bis 7 an die erste Instanz zurückverwiesen.
* Die Entscheidung ist hier nur auszugsweise abgedruckt. Eine Kopie der ungekürzten Entscheidung in der Verfahrenssprache ist bei der Informationsstelle des EPA in München gegen Zahlung einer Fotokopiergebühr von 1,30 DEM pro Seite erhältlich.