4.3. Begriff der "Verspätung"
In T 1551/14 wurde das Verfahren vor der Einspruchsabteilung nach der Einvernahme von Zeugen in einer ersten mündlichen Verhandlung schriftlich fortgesetzt. Der Patentinhaber reichte einen neuen Hilfsantrag ein, in dem der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche durch ein neues Merkmal eingeschränkt wurde. Nach Ladung zur zweiten mündlichen Verhandlung reichte der Einsprechende innerhalb des nach R. 116 EPÜ festgesetzten Zeitraums eine eidesstattliche Erklärung eines der vernommenen Zeugen ein und bot eine ergänzende Zeugeneinvernahme an. Die Kammer sah in dieser Erklärung, die Fragen behandelte, die erst mit der Einreichung des Hilfsantrages relevant geworden waren, eine direkte und fristgerechte Reaktion des Beschwerdeführers (Einsprechenden), die daher nicht als verspätet gelten konnte. Die Bedenken des Beschwerdeführers (Patentinhabers), dass die Erklärung im Widerspruch zum bisherigen Vortrag stehe, teilte die Kammer nicht. Jedenfalls könne aber ein Vorliegen solcher Widersprüche nicht rechtfertigen, die Zulassung eines Vortrags, der eine legitime Reaktion auf eine Änderung des Vortrags der Gegenpartei darstellt, von vornherein zu verweigern.
In T 2734/16 stellte die Kammer fest, dass eine neue Angriffslinie auf die erfinderische Tätigkeit, die als Reaktion und unter Verwendung der vom Patentinhaber mit der Einspruchserwiderung eingereichten Dokumente verfolgt wird, nicht per se als verspätet anzusehen ist. Sie kann aus Gründen der Waffengleichheit in das Einspruchsverfahren zugelassen werden, auch wenn die Dokumente im Ergebnis nicht relevanter als andere Dokumente sind.
In T 1711/16 hatte der Einsprechende vor dem gemäß R. 116 (1) EPÜ bestimmten Zeitpunkt weitere Beweismittel eingereicht, um die Bedenken auszuräumen, die die Einspruchsabteilung erstmals in ihrer Mitteilung zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung geäußert hatte. Die Kammer wies darauf hin, dass die Prima-facie-Relevanz dieser Dokumente, die nach Ansicht des Patentinhabers nicht gegeben war, für die Frage der Zulassung irrelevant ist. Entscheidend ist vielmehr, ob diese Unterlagen und die diesbezüglichen Vorbringen den Bedenken der Einspruchsabteilung Rechnung tragen und rechtzeitig vorgelegt wurden, d. h. ob sie eine legitime Reaktion auf die Bedenken der Einspruchsabteilung darstellten. Die Kammer hob dementsprechend die Ermessensentscheidung der Einspruchsabteilung auf, die vorliegenden Beweise nicht zuzulassen.