4.2. Fallweise Beurteilung der Beweiskraft
In T 332/87 wurde ein mit Datum versehenes, als vertraulich markiertes internes Blatt, das nicht unterschrieben war, zusammen mit einem undatierten Prospekt nicht als ausreichendes Beweismittel betrachtet. In T 595/89 entschied die Kammer, dass interne Unterlagen des Einsprechenden über den Einbau eines Geräts in ein Flugzeug und über dessen Verkauf zum Beweis einer offenkundigen Vorbenutzung nicht ausreichend waren.
In T 204/88 war ein Angebotsschreiben nicht ausreichend zum Beweis einer offenkundigen Vorbenutzung, weil nicht erkennbar war, wann und an wen das Gerät geliefert werden sollte, und weil das Gerät zu allgemein beschrieben war, um zu erkennen, ob es der Erfindung entsprach. Auch in T 725/89 wurde ein datiertes Angebot als kein ausreichendes Beweismittel betrachtet, da nicht bewiesen war, wann das Angebot tatsächlich überreicht worden war, und das Datum des Angebots nur eine Woche vor dem Prioritätstag lag. Dem gegenüber war die Kammer in T 482/89 (ABl. 1992, 646) der Meinung, dass ein nicht unterschriebener Lieferschein zusammen mit anderen Dokumenten ein ausreichendes Beweismittel für die Lieferung sein kann.
In T 505/15 hielt die Kammer das Vorbringen des Beschwerdeführers (Einsprechenden) für glaubhaft, dass das gedruckte Originaldokument etwa 14 Jahre nach seiner Erstellung nicht mehr verfügbar sei, weil keine Verpflichtung bestehe, das Originaldokument auf Papier länger als 10 Jahre aufzubewahren. Die Kammer war auch nicht der Ansicht, dass die fehlende Unterschrift Zweifel am Inhalt des Dokuments aufkommen ließ. Erstens war das angebliche Rechtserfordernis für die Unterzeichnung solcher Dokumente nicht begründet worden. Zweitens war es – auch wenn das Originaldokument ursprünglich unterzeichnet worden war – unwahrscheinlich, dass die elektronisch gespeicherte Fassung des Dokuments eine solche Unterschrift enthielt. Vergleiche T 2466/13 zur fehlenden Vorlage der Originalverträge für die Abtretung des Prioritätsrechts sowie zur einfachen Behauptung einer möglichen Unterschriftenfälschung.
In T 48/96 urteilte die Kammer, dass Kopien von Seiten eines mit einem Datum versehenen Katalogs kein ausreichender Beweis für öffentliche Zugänglichkeit sind. Als Beweis für die Behauptung, dass ein bestimmtes in einem Katalog beschriebenes Gerät der Öffentlichkeit vor dem Prioritätstag zugänglich war, genügt es nicht, nachzuweisen, dass der Katalog fristgerecht veröffentlicht wurde, weil allein die Angabe in einem Katalog keinen eindeutigen Beweis darstellt, dass das beschriebene Produkt tatsächlich jedermann zugänglich war; so könnte es etwa bei der Veröffentlichung eine Verzögerung gegeben haben (s. unten die Beispiele zu Katalogen und Werbeprospekten unter Kapitel III.G.4.3.4 a), z. B. T 1710/12 zu den Auswirkungen der Tatsache, dass der Katalog nicht zur Stützung einer angeblichen öffentlichen Vorbenutzung vorgelegt worden war, auf den Beweismaßstab).
In T 905/94 hatte der Patentinhaber eine Markise auf einer Messe ausgestellt. Nach Prüfung der die Ausstellung betreffenden Beweismittel befasste sich die Kammer mit der Frage, ob die Benutzung derselben Handelsbezeichnung für unterschiedliche Modelle ein Beweis dafür sein könne, dass der Patentinhaber Markisen gemäß dem strittigen Patent vor dem Prioritätstag vermarktet oder beschrieben habe. Nach ihrer Auffassung konnte diese Benutzung keinen hinreichenden Beweis darstellen. Im gewerblichen Bereich ist es üblich, dass ein und dieselbe Bezeichnung für ein Erzeugnis verwendet und beibehalten wird, dessen technische Merkmale sich im Laufe der Zeit je nach den vorgenommenen Verbesserungen änderten. Vergleiche T 2020/13 zu einer Änderung der Marke in Bezug auf die durch diese Marke bezeichneten Produkte des Stands der Technik.
In T 2357/12 zur Übertragung der Einsprechendenstellung und zum Begriff der "Gesamtrechtsnachfolge" nahm die Kammer zur Beweiswürdigung Stellung. Der Patentinhaber stellte die Beweiskraft von Privaturkunden, wie sie im vorliegenden Fall vorgelegt worden waren, gegenüber öffentlich registrierten Urkunden als Nachweis der Übertragung der Einsprechendenstellung im mehrseitigen Verfahren infrage. Die Kammer stellte fest, dass öffentliche Register hinsichtlich der darin festgehaltenen Tatsachen häufig das Vertrauen der Öffentlichkeit genießen und dass sonstige öffentliche Urkunden zu formalen Fragen aufschlussreicher sein können, wohingegen bei einer Privaturkunde die Identität des Ausstellers sowie der Tag und Ort der Erstellung eher in Zweifel gezogen werden können. Jedoch stelle keine dieser Urkunden einen unwiderlegbaren Beweis für die Richtigkeit des Urkundeninhalts dar. Die Kammer nannte Beispiele dafür, welche Arten von Urkunden in bestimmten Einzelfällen jeweils akzeptiert werden, und wies darauf hin, dass die Kammern als Beweis für einen Rechtsübergang – sei es im Wege der Gesamtrechtsnachfolge oder der Übertragung von einzelnen Vermögenswerten – öffentliche und/oder private Urkunden stets akzeptiert haben. Der anzulegende Beweismaßstab sei die Glaubwürdigkeit der zu beweisenden Tatsachen im Lichte sämtlicher Umstände.
In T 74/00 war die Kammer nach dem Tod des Einsprechenden der Ansicht, dass ein Nachweis des einschlägigen (hier japanischen) Erbrechts, nämlich ein entsprechendes Rechtsgutachten eines japanischen Anwalts, das bestmögliche Beweismittel war; die bloße Vorlage von Kopien des Schriftwechsels eines Beteiligten mit seinen beratenden japanischen Anwälten konnte nicht als Ersatz dafür dienen. In T 205/14 (und T 517/14) wurde israelisches Recht (anwendbar) durch ein von der Partei zur Verfügung gestelltes Rechtsgutachten zur Zufriedenheit der Kammer nachgewiesen (Prioritätsrecht – Übertragung). In T 1201/14, wo es ebenfalls um den Übergang des Prioritätsrechts ging, wurden Rechtsgutachten vorgelegt, die allerdings die Kammer in der Sache nicht überzeugten.