7.10. Niederschrift der mündlichen Verhandlung (Regel 124 EPÜ)
Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist von den Parteien und deren Vertretern zu erwarten, dass der Inhalt einer Niederschrift, insbesondere dessen Vollständigkeit und Korrektheit, direkt nach dem Erhalt sorgfältig geprüft wird und ggf. zeitnah bemängelt wird, weil er die einzige Möglichkeit darstellt, nachzuvollziehen, was sich während der mündlichen Verhandlung vor der ersten Instanz tatsächlich ereignet hat (T 1679/17). Ist ein Beteiligter der Ansicht, die Niederschrift sei unvollständig oder falsch, weil wesentlichen Anträgen in der Akte überhaupt nicht Rechnung getragen sei, so kann er bei der Einspruchsabteilung beantragen, zur Wahrung seiner Rechte die Niederschrift zu berichtigen (T 642/97, T 231/99, T 898/99, T 68/02, T 99/08). Das Gleiche gilt in Verfahren vor der Prüfungsabteilung (T 937/07, T 2434/09). Zum Verfahren vor den Beschwerdekammern s. T 1934/14 vom 8. Oktober 2018 date: 2018-10-08, T 888/17.
In T 162/09 wies die Kammer darauf hin, dass von den Parteien und deren Vertretern erwartet werden kann, dass der Inhalt eines Protokolls, insbesondere dessen Vollständigkeit, direkt nach dem Erhalt sorgfältig geprüft wird und zeitnah bemängelt wird, da das Protokoll die einzige Möglichkeit darstellt, nachzuvollziehen, was sich während der mündlichen Verhandlung ereignet hat. S. auch R 6/14.
In T 690/09 hatte der Beschwerdeführer die Richtigkeit der Niederschrift nicht hinterfragt; die Kammer folgerte, dass die Richtigkeit der Niederschrift formal nicht in Zweifel stand und sie daher davon ausgehen musste, dass die Niederschrift die mündliche Verhandlung korrekt wiedergab. S. auch T 162/09, T 1138/12, T 1227/14, T 320/15.
In T 1005/08 stellte die Kammer fest, dass nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern grundsätzlich die Stelle, vor welcher die mündliche Verhandlung abgehalten wurde, für die Berichtigung der Niederschrift der mündlichen Verhandlung zuständig ist (s. auch T 2150/15). Sofern eine Partei meint, die Verhandlungsniederschrift sei unvollständig oder fehlerhaft, da diese wesentliche Ausführungen nicht oder fälschlicherweise enthalte, obliegt es ihr, zur Wahrung ihrer Rechte bei dem zuständigen Organ eine entsprechende Protokollberichtigung zu beantragen (T 1481/19).
In T 231/99 wurde befunden, die Kammer erwerbe mit der Zuständigkeit für die Entscheidung über die Rechtsbeständigkeit des Patents keine Zuständigkeit, über die Richtigkeit der Niederschrift in der ersten Instanz zu entscheiden (s. auch T 1198/97, T 162/09, T 2150/15). In T 508/08 stellte die Kammer fest, dass sie nichts tun könne, wenn die erste Instanz (hier: die Einspruchsabteilung) ihre Verpflichtung (auf einen Antrag auf Berichtigung der Niederschrift zu reagieren) missachte. Die Kammer sei nicht befugt, die Einspruchsabteilung zur Erfüllung ihrer Pflichten zu zwingen (s. auch T 803/12, T 2150/15).
In T 212/97 wurde ausgeführt, dass nur Entscheidungen mit der Beschwerde anfechtbar seien. Da die Niederschrift über die mündliche Verhandlung keine Entscheidung und auch kein Bestandteil der Entscheidung sei, könne sie von der Beschwerdekammer nicht "annulliert" werden (s. auch T 838/92, T 68/02). Ein Verfahrensfehler könnte dann vorliegen, wenn das Ermessen, was "wesentlich" bzw. "rechtserheblich" sei, vom Protokollführer überschritten werde, z. B. wenn eindeutige Verzichtserklärungen einer Partei nicht in die Niederschrift aufgenommen werden.
In T 1063/02 war die Kammer der Auffassung, dass sie keine Berichtigung der Niederschrift einer mündlichen Verhandlung der Einspruchsabteilung anordnen könne, es sei denn, die Niederschrift stünde in eindeutigem und offenkundigem Widerspruch zum tatsächlichen Ablauf des Verfahrens.
In T 740/00 teilte der Beschwerdeführer der Einspruchsabteilung mit, dass die Niederschrift nach seiner Meinung nicht den tatsächlichen Verlauf der Verhandlung wiedergebe. Statt zu prüfen, ob die Niederschrift tatsächlich die Erfordernisse der R. 76 (1) EPÜ 1973 erfüllt, und dann über eine Berichtigung zu entscheiden, brachte die Einspruchsabteilung im Wesentlichen vor, dass die Niederschrift korrekt sei, weil dies in der Niederschrift so gesagt werde. Nach Auffassung der Kammer dreht sich eine solche Begründung im Kreis und erfüllt damit nicht die Erfordernisse der R. 68 (2) EPÜ 1973, wonach die Entscheidungen des Europäischen Patentamts zu begründen sind. Dies stelle einen Verfahrensmangel dar (vgl. T 819/96).
In T 4/00 führte die Kammer aus, dass eine Berichtigungsentscheidung nicht vom Formalsachbearbeiter getroffen werden kann, weil dies den Erfordernissen von R. 76 (3) EPÜ 1973 (R. 124 (3) EPÜ) widerspricht, wonach eindeutig nur die Mitglieder der Einspruchsabteilung für die Niederschrift zuständig sind.
In T 1721/07 wurde der Antrag abgelehnt, das Protokoll über die mündliche Verhandlung mit einer Zusammenfassung zu ergänzen, die der Beschwerdeführer über die verschiedenen Argumente der Parteien und die Schlussfolgerungen der Kammer erstellt hatte. Die Kammer führte aus, dass die Erstellung der Niederschrift über die mündliche Verhandlung der Kammer obliegt. Diese Aufgabe kann nicht ganz oder teilweise den Parteien oder gar nur einer der Parteien übertragen oder überlassen werden (s. auch T 433/11).
- T 1891/20
Catchword:
If a party considers that the "essentials of the oral proceedings" or "relevant statements" within the meaning of Rule 124(1) EPC are incorrect or missing in the minutes of oral proceedings, they must file a request for correction of the minutes in the shortest time possible after their receipt. This ensures that the relevant facts and submissions are still fresh in the minds of the members of the deciding body and, if applicable, the other party or parties (Reasons 9.2). Waiting for the written decision before submitting a request for correction of the minutes is incompatible with a party's obligation to request correction of the minutes in the shortest time possible after their receipt (Reasons 9.3).
- Sammlung 2023 “Abstracts of decisions”
- Jahresbericht: Rechtsprechung 2022
- Zusammenfassungen der Entscheidungen in der Verfahrensprache