4.5.6 Einreichung neuer Anträge – außergewöhnliche Umstände verneint
In T 1317/14 argumentierte der Beschwerdeführer, dass der in der mündlichen Verhandlung eingereichte Hilfsantrag 2 nach Art. 13 (2) VOBK 2020 zulässig sei, da ihm ein von der Kammer in der mündlichen Verhandlung vorgebrachtes Argument zur mangelnden Stützung des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1 durch die Beschreibung vorher nicht bekannt gewesen sei. Nach Auffassung der Kammer ergab sich dieser Einwand aber bereits aus dem Ladungsbescheid. Es lagen daher keine außergewöhnlichen Umstände im Sinne des Art. 13 (2) VOBK 2020 vor. Die Kammer stellte zudem fest, dass Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 prima facie den Einwand nach Art. 84 EPÜ nicht überwinden konnte und die eingefügten Änderungen prima facie den Anforderungen des Art. 123 (2) EPÜ nicht genügten. Die Kammer ließ daher den Antrag nicht in das Verfahren zu.
Ebenso befand die Kammer in T 2214/15, dass keine außergewöhnlichen Umstände vorlagen, die die Berücksichtigung eines weiteren geänderten Antrags (Hilfsantrag 3) rechtfertigten. Das Benennen von Problemen, die beim Versuch des Beschwerdeführers, die im Verfahren bis zu diesem Punkt erörterten Einwände auszuräumen, entstanden waren, sei eher als normaler Verlauf der Diskussion zu betrachten. Entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers handelte es sich hier nach Auffassung der Kammer um einen typischen Fall, bei dem ein zentraler Einwand (mangelnde Stützung), der einer der Gründe für die Zurückweisung gewesen war, von der Kammer benannt und bestätigt wurde und zentrales Thema des gesamten Beschwerdeverfahrens war, weswegen es in der Regel nicht gerechtfertigt sei, einen weiteren Hilfsantrag zu stellen. Die Kammer wies darauf hin, dass sich die in Anbetracht des Hilfsantrags 2 (zugelassen, aber als unzulässig verworfen) zu erörternden Fragen inhaltlich nicht von den in der Ladung benannten unterschieden. Die Änderungsanträge waren erfolglose Versuche, die bereits in der Ladung erhobenen Einwände mangelnder Klarheit und mangelnder Stützung auszuräumen. Die weiteren von der Kammer in der mündlichen Verhandlung erhobenen Einwände mangelnder Klarheit gingen nicht über den Rahmen der vorherigen Erörterungen hinaus, die von den zugrunde liegenden Anspruchsmängeln bestimmt waren. Träfe das Argument des Beschwerdeführers zu, dass das Benennen neu entstandener Probleme außergewöhnliche Umstände darstelle, so würde dies bedeuten, dass dem Beschwerdeführer wiederholt Gelegenheit gegeben werden müsste, geänderte Ansprüche einzureichen, bis keine neuen Probleme mehr aufkämen, was im Widerspruch zu dem vorrangigen Ziel des Beschwerdeverfahrens stünde, die angefochtene Entscheidung gerichtlich zu überprüfen (Art. 12 (2) VOBK 2020). Zu dem Einwand nach Art. 123 (2) EPÜ, den sie in der mündlichen Verhandlung in Bezug auf eine der Änderungen im Hilfsantrag 2 erhoben hatte, stellte die Kammer fest, dass es gemäß der strikten dritten Stufe des Konvergenzansatzes, die durch Art. 13 (2) VOBK 2020 implementiert wird, nicht als außergewöhnlicher Umstand angesehen werden kann, wenn eine Änderung, mit der ein in der Ladung erhobener Einwand ausgeräumt werden soll, als unvereinbar mit Art. 123 (2) EPÜ benannt wird.
In T 1870/15 argumentierte der Beschwerdeführer, dass die Anspruchsauslegung der Kammer in der mündlichen Verhandlung nicht vorhersehbar war. Die Kammer stellte jedoch fest, dass ihre Mitteilung nach Art. 15 (1) VOBK 2020 eine vorläufige Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit des beanspruchten Gegenstands gegenüber Dokument D1 als nächstliegenden Stand der Technik enthielt, das im Verfahren vor der Prüfungsabteilung bereits eingehend erörtert worden war. Die in der mündlichen Verhandlung dargelegte Anspruchsauslegung der Kammer war lediglich eine weitere Erläuterung ihrer Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit, die keinerlei Einfluss auf die Bestimmung der Unterscheidungsmerkmale des beanspruchten Gegenstands gegenüber Dokument D1 hatte und voll und ganz mit der zuvor übermittelten vorläufigen Einschätzung zu dieser Fragestellung in Einklang war. Dies wurde von der Kammer als ein gewöhnlicher Verlauf der Dinge bei der Diskussion in der mündlichen Verhandlung angesehen.
Auch in T 2539/16 lagen nach Ansicht der Kammer keine außergewöhnlichen Umstände vor, da sie mit ihrem Einwand im Ladungszusatz den Rahmen des durch den Beschwerdeführer erhobenen Einwandes und seiner Tatsachenbehauptungen nicht verlassen hatte. Die Kammer hob hervor, dass sie somit keine völlig neuen Fragestellungen aufgeworfen, sondern allenfalls die Argumente des Beschwerdeführers im Rahmen der bereits vorgetragenen Tatsachenbehauptungen präzisiert hatte.
In T 545/19 unterschied sich die von der Kammer während der mündlichen Verhandlung gegebene Begründung von der kürzeren aus der vorläufigen Meinung der Kammer. Die Kammer befand jedoch, dass der Beschwerdegegner gleichwohl von ihrer negativen vorläufigen Auffassung zu dem betreffenden Merkmal in Kenntnis gesetzt worden war und daher nicht überrascht sein konnte, als sie in der mündlichen Verhandlung zu einem negativen Ergebnis gelangte.