4.5.6 Einreichung neuer Anträge – außergewöhnliche Umstände verneint
In T 42/17 verwies die Kammer auf die in den Erläuterungen zu Art. 13(2) VOBK 2020 (in CA/3/19, Abschnitt VI) festgelegten Grundsätze und insbesondere auf Folgendes: Bringt der Beteiligte vor, dass die Kammer einen Einwand erstmals in ihrer Mitteilung erhoben hat, so muss er genau darlegen, warum dieser Einwand neu war und nicht unter die zuvor von der Einspruchsabteilung oder dem Beschwerdegegner erhobenen Einwände fiel. Im vorliegenden Fall waren die strittigen Fragen bereits im erstinstanzlichen Verfahren erörtert und vom Beschwerdegegner (Einsprechenden) in seiner Erwiderung auf die Beschwerdebegründung angeführt worden. Somit musste der Beschwerdeführer (Patentinhaber) davon ausgehen, dass die Kammer eine vorläufige Einschätzung äußern könnte, die sich von der Meinung der Einspruchsabteilung unterscheiden würde. Der Beschwerdeführer legte nicht dar, dass die Einschätzung der Kammer einen Einwand enthielt, der nicht schon zuvor erhoben worden war.
Auch in der Sache T 752/16, in der die revidierte Meinung der Kammer in ihrer zweiten Mitteilung nach Art. 15(1) VOBK 2020 auf bereits in der Beschwerdebegründung des Beschwerdeführers (Einsprechenden) genannten Einwänden und Argumentationslinien basierte, merkte die Kammer an, dass es im Hinblick auf Art. 13 (2) VOBK 2020 unerheblich sei, ob die in der Mitteilung geäußerte vorläufige Meinung von einer vorherigen Stellungnahme oder der angefochtenen Entscheidung abweicht. Mit einer für die Beteiligten ungünstigen vorläufigen Meinung könne prinzipiell jederzeit im Verfahren vor den Beschwerdekammern vor Verkündung der Entscheidung gerechnet werden (bestätigt in T 764/16). Siehe auch T 1187/16 und T 646/17, wo in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen wird, dass das Beschwerdeverfahren gerade der Überprüfung der angefochtenen Entscheidung dient.
Ebenso wenig akzeptierte die Kammer in T 2610/16 die Argumentation des Beschwerdegegners (Patentinhabers), dass die betreffende Änderung eine Reaktion auf die Mitteilung nach Art. 15 (1) VOBK 2020 darstelle und keine Notwendigkeit bestanden habe, die betreffende Änderung im Einspruchsverfahren einzureichen, da das Patent, wie erteilt, aufrechterhalten wurde. Vielmehr betonte die Kammer, dass der entsprechende (in der Mitteilung enthaltene) Einwand bereits in der Einspruchsbegründung vorgetragen und in der Beschwerdebegründung wiederholt worden war. Unter diesen Umständen stellte nach Auffassung der Kammer die Tatsache, dass sie in der Mitteilung eine von der angefochtenen Entscheidung abweichende Meinung vertreten hatte, keinen stichhaltigen Grund für das Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstands im Sinne von Art. 13 (2) VOBK 2020 dar.
In T 1962/17 folgte die Kammer dieser Rechtsprechung (mit Verweis auf T 764/16 und T 2610/16). Sie merkte dazu auch an, dass sie damit an der Praxis vor der Änderung der Verfahrensordnung zum 1. Januar 2020 festhielt (siehe T 1906/17).
Für weitere Fälle, in denen die Tatsache, dass die Kammer in ihrer Mitteilung nach Art. 15 (1) VOBK 2020 oder in der mündlichen Verhandlung zu einer anderen Schlussfolgerung gelangte als die Einspruchsabteilung, nicht als außergewöhnlicher Umstand im Sinne von Art. 13 (2) VOBK 2020 betrachtet wurde, siehe z. B. T 1897/16, T 1422/17, T 1717/17, T 172/17 und T 1569/17.