5.5. Änderungen des Vorbringens nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung – Artikel 13 (1) und (3) VOBK 2007
Für Änderungen, die nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung beantragt werden, galten bereits nach Art. 13 (3) VOBK 2007 strenge Kriterien (zur jetzigen Rechtslage nach der VOBK 2020, siehe Kapitel V.A.4.5. "Dritte Stufe des Konvergenzansatzes – Vorbringen nach Zustellung der Ladung oder Ablauf der in einer Regel 100 (2) EPÜ-Mitteilung gesetzten Frist – Artikel 13 (2) VOBK 2020"). Danach wurden diese Änderungen "nicht zugelassen, wenn sie Fragen aufwerfen, deren Behandlung der Kammer oder dem bzw. den anderen Beteiligten ohne Verlegung der mündlichen Verhandlung nicht zuzumuten ist".
Nach Ansicht der Kammer in T 232/08 haben der Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör und/oder die Verfahrensökonomie demnach Vorrang gegenüber anderen Erwägungen. Ein Teil der Rechtsprechung war daher der Auffassung, dass diese Bestimmung der entscheidenden Kammer kein Ermessen einräumt (see e.g. T 958/05, T 334/06, T 1847/08, T 2085/08, T 253/10, T 566/10, T 989/10, T 2189/11, R 5/11).
Ein großer Teil der Rechtsprechung ging aber auch für den Zeitraum nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung von einem Ermessen gemäß Art. 13 (1) und (3) VOBK 2007 aus (s. z. B. T 87/05, T 233/05, T 427/05, T 642/06, T 518/08, T 183/09, T 392/09, T 1457/09, T 1108/10, T 236/11, T 633/16, T 656/16, T 691/16, T 1439/16, T 2591/16, T 1801/17). In T 233/05 erklärte die Kammer, dass Art. 13 VOBK 2007 sowohl das rechtliche Gehör (Art. 113 EPÜ 1973) widerspiegelt als auch das Ermessen einer Kammer, verspätet vorgebrachte Tatsachen oder Beweismittel unberücksichtigt zu lassen (Art. 114 (2) EPÜ 1973). Dies kommt insbesondere zum Tragen, wenn Änderungen sehr spät vorgenommen werden, was nach der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung der Fall ist (Art. 13 (3) VOBK 2007). Weitere Entscheidungen, in denen die Kammern auf Art. 13 (3) VOBK 2007 (bzw. Art. 10b (3) VOBK 2003) und Art. 114 (2) EPÜ Bezug nehmen sind z. B. T 488/05, T 734/07, T 1314/10 und T 139/12.
Wiederholt haben Kammern auch festgestellt, dass eine Änderung in einem späten Stadium dann gerechtfertigt ist, wenn sie eine angemessene Reaktion auf unvorhersehbare Entwicklungen im Verfahren darstellt (s. z. B. T 183/09, T 391/11, T 2385/11, T 1869/10).
In T 671/08 wurde das verspätet vorgebrachte Argument ausnahmsweise zugelassen, obwohl dies zu einer Verlegung der mündlichen Verhandlung führte. Die Kammer betrachtete den vom Beschwerdeführer (Einsprechenden) erst knappe zwei Wochen vor der mündlichen Verhandung vorgebrachten Einwand der unzureichenden Offenbarung als grundlegenden Einwand, der nicht außer Acht gelassen werden könne. Solange der neue Einwand nicht geklärt sei, so die Kammer, wäre aufgrund seines grundlegenden Charakters jede Diskussion über Neuheit und erfinderische Tätigkeit sinnlos. Dieser Fall stelle eine Ausnahme von dem in Art. 13 (3) VOBK 2007 genannten Prinzip dar, wonach Änderungen des Vorbringens eines Beteiligten nicht zum Verfahren zugelassen werden sollten, wenn ihre Zulassung zu einer Verlegung der mündlichen Verhandlung führen würde.