7.1. Deutlichkeit und Vollständigkeit der Offenbarung
Bei der Prüfung der ausreichenden Offenbarung müssen die Kammern überzeugt sein, dass der Fachmann erstens der Patentschrift mindestens einen Weg zur Ausführung der beanspruchten Erfindung entnehmen und sie zweitens im gesamten beanspruchten Bereich ausführen könne (s. z. B. T 792/00, T 811/01, T 1241/03, T 364/06; s. auch T 1727/12, "Biogen sufficiency"; zum letztgenannten Begriff s. auch T 1845/14, wonach "die sogenannte Biogen insufficiency", wie in T 1727/12 angemerkt, nicht Teil der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist). Der Schutzbereich des Patents soll durch den technischen Beitrag zum Stand der Technik begründet sein (T 612/92). Der erforderliche Umfang der Offenbarung wird in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung des Kerns der Erfindung untersucht (T 694/92, ABl. 1997, 408).
In T 292/85 (ABl. 1989, 275) hat die Kammer erwähnt, dass eine Erfindung als hinreichend offenbart anzusehen ist, wenn mindestens ein Weg deutlich aufgezeigt wird, wie der Fachmann die Erfindung ausführen kann. Die fragliche Erfindung betraf ein rekombinantes Plasmid, das ein homologes Regulon, heterologe DNS und ein oder mehrere Terminationscodons zur Expression eines funktionellen heterologen Polypeptids in isolierbarer Form in Bakterien enthielt. Die Anmeldung wurde von der Prüfungsabteilung mit der Begründung zurückgewiesen, dass nicht alle Ausführungsarten, die unter die weite funktionelle Anspruchsfassung fielen, zugänglich seien. Die Kammer stellte jedoch fest, dass es unerheblich ist, ob einige Varianten verfügbar sind oder nicht, solange geeignete Varianten bekannt sind, die dieselbe Wirkung haben.
Im ähnlich gelagerten Fall T 386/94 (ABl. 1996, 658) enthielt die Patentschrift ein technisch ausführliches Beispiel für die Expression von Präprochymosin und seinen Reifungsformen in E. coli. Zugleich wurde die Möglichkeit angedeutet, die besagten Proteine in Mikroorganismen ganz allgemein zu exprimieren. Die Kammer hielt die Erfindung für ausreichend offenbart, da ein Weg zur Ausführung der Erfindung deutlich aufgezeigt wurde und der Stand der Technik nicht darauf hinwies, dass man Fremdgene nicht in anderen Organismen als E.coli exprimieren könnte. Die in T 292/85 (ABl. 1989, 275) dargelegten Grundsätze wurden auch in T 984/00 (wo die Erfindung auf die Nutzung der T-Region des Agrobakteriums ohne die Gene der T-Region von Ti-Plasmiden des Wild-Typs gerichtet war, um die schädlichen Wirkungen dieser Gene auf die Zielpflanze auszuschalten) und in T 309/06 angewandt (wo der Beschwerdeführer eine neue Gruppe von Enzymen (Phospholipasen A1) mit nützlichen Eigenschaften offenbart hatte und die Kammer zugelassen hatte, dass der Beschwerdeführer die Enzyme unabhängig von deren Ursprung beanspruchte).
Für den Umfang der für eine ausreichende Offenbarung erforderlichen technischen Angaben kommt es darauf an, welche Korrelation besteht zwischen der Sachlage im Einzelfall und verschiedenen allgemeinen Parametern, beispielsweise dem Gebiet der Technik, dem auf diesem Gebiet der Technik für die Ausführung einer bestimmten schriftlichen Offenbarung durchschnittlich erforderlichen Aufwand, dem Zeitpunkt der Offenbarung und dem einschlägigen allgemeinen Fachwissen oder dem Umfang der in einem Dokument offenbarten zuverlässigen technischen Einzelheiten (s. T 158/91; T 694/92, ABl. 1997, 408; T 639/95; T 36/00; T 1466/05; T 2220/14).