5.5.2 Sorgfaltspflicht des zugelassenen Vertreters
In T 460/95 vom 16. Juli 1996 date: 1996-07-16 hatte der Vertreter eine Fristverlängerung beantragt, obwohl er als Fachmann hätte wissen müssen, dass die Fristen nach Art. 108 EPÜ 1973 nicht verlängerbar sind. Die Kammer stellte fest, dass von Vertretern erwartet werde, dass sie mit den Fristenregelungen des EPÜ vertraut seien, und dass der betreffende Vertreter die nach den Umständen gebotene Sorgfalt habe vermissen lassen. In diesem besonderen Fall jedoch habe der Vertreter zuvor vorsichtshalber Kontakt zur Geschäftsstelle der Beschwerdekammern aufgenommen, und von dieser eine Auskunft erhalten, die ihn zu einer für ihn nachteiligen Handlung verleitet habe. Die Kammer entschied, dass dem Beschwerdeführer kein Nachteil entstehen dürfe, nur weil er sich auf eine Auskunft des EPA verlassen habe, die sich später als falsch herausgestellt oder die er wahrscheinlich falsch verstanden habe.
In T 881/98 hatte der zugelassene Vertreter des Beschwerdeführers in einem Schreiben an die Geschäftsstelle der Beschwerdekammern ohne Angabe von Gründen eine Fristverlängerung um zwei Monate beantragt, ohne in dem Schreiben darauf hinzuweisen, dass es sich dabei um die Frist für die Beschwerdebegründung handelte. Dieser Antrag war um die Ankündigung "Sollte keine gegenteilige Nachricht zugehen, wird Zustimmung angenommen" ergänzt. Die Kammer wies den Antrag auf Wiedereinsetzung zurück. Die Geschäftsstelle hatte den Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht verletzt, da der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall anders als in T 460/95 date: 1996-07-16 nicht durch eine falsche Auskunft der Geschäftsstelle zu einem ihm nachteiligen Verhalten geleitet worden war, sondern von sich aus in Bezug auf die Möglichkeit einer Fristverlängerung geirrt hatte.
In T 733/98 teilte die Kammer den Beschwerdeführern mit, dass die Beschwerdebegründung nicht den Anforderungen von Art. 108 Satz 3 EPÜ 1973 genüge. Die Beschwerdeführer beantragten Wiedereinsetzung in die Frist zur Einreichung der schriftlichen Beschwerdebegründung. Sie beriefen sich darauf, dass sie sich auf die Rechtsauskunft Nr. 15/84 des EPA verlassen hatten, die noch in Kraft war, als ihnen die Mitteilung nach R. 51 (4) EPÜ 1973 zugegangen war. Nach Ansicht der Kammer hatten die Beschwerdeführer die fragliche Rechtsauskunft falsch ausgelegt. Sie hatten nicht erkannt, dass die darin dargelegte Behandlung von Haupt- und Hilfsanträgen im Verfahren seit Inkrafttreten der geänderten Fassung von R. 51 EPÜ 1973 nicht mehr relevant war. Die Kammer entschied, dass dem Erfordernis der nach den gegebenen Umständen gebotenen Sorgfalt vorliegend nicht entsprochen worden sei.
In T 744/11 ging die Beschwerdebegründung drei Minuten nach Ablauf der viermonatigen Frist in elektronischer Form ein. Der Vertreter argumentierte, sein Büro befinde sich in Cambridge und da die Uhrzeit im Vereinigten Königreich eine Stunde hinter der mitteleuropäischen Zeit (MEZ) zurückliege, habe er die Begründung fristgerecht verschickt. Die Kammer konnte dieses Argument aus dem einfachen Grund nicht akzeptieren, dass nicht die Uhrzeit im Vereinigten Königreich rechtlich maßgeblich ist, sondern die im EPA (d. h. die in München oder Den Haag). Die Kammer befand den Antrag des Beschwerdeführers aber dennoch für gewährbar, insbesondere weil der Beschwerdeführer belegt hatte, dass die Fristversäumnis nicht auf mangelnde Sorgfalt, sondern auf einen entschuldbaren menschlichen Fehler des Vertreters zurückzuführen war.