3.2.4 Offenkundige Vorbenutzung
In dem der Entscheidung T 363/90 zugrunde liegenden Fall war ein Gerät mit einem der beanspruchten Erfindung entsprechenden Einzelblatteinzug auf Messen ausgestellt und vorgeführt worden. Die Kammer kam zu dem Schluss, dass die technischen Merkmale und die Funktionen des ausgestellten Einzelblatteinzugs unter den gegebenen Umständen für einen Fachmann nicht in dem Umfang erkennbar waren bzw. aufgrund anderweitiger Informationen erschlossen werden konnten, dass er den Einzelblatteinzug hätte nachbauen oder gar weiterentwickeln können.
In T 208/88 date: 1990-02-28 (ABl. 1992, 22) wurde festgestellt, dass eine bisher nicht beschriebene, aber bei der praktischen Ausführung einer bekannten Lehre (hier: Verwendung als Fungizid) tatsächlich eintretende Wirkung (hier: Wachstumsregulation), die Grundlage einer Verwendungserfindung sein soll, der Öffentlichkeit mit der Folge neuheitsschädlicher Vorwegnahme der Verwendungserfindung jedenfalls dann nicht zugänglich gemacht worden ist, wenn sie bei der genannten Ausführung nicht so klar zu Tage tritt, dass sich dadurch mindestens potenziell für einen unbegrenzten Kreis von Fachleuten das Wesen der Erfindung unmittelbar erschließt (s. G 6/88).
In T 245/88 waren mehrere Zerstäuber auf einem umzäunten Werftgelände installiert. Das Gelände war für das Publikum nicht frei zugänglich. Die Kammer ging davon aus, dass die Zerstäuber dadurch nicht öffentlich zugänglich geworden waren. S. T 2028/16 zur Entscheidung über einen Verkauf an das deutsche Militär, der für sich genommen keine offenkundige Vorbenutzung darstellte.
In T 901/95 entschied die Kammer, dass die einfache Behauptung, Generatorenanlagen seien in drei verschiedenen Werften in Schiffe eingebaut worden und somit der Öffentlichkeit zugänglich geworden, nicht ausreichend ist, um die offenkundige Vorbenutzung dieser Anlagen zu beweisen. Schiffswerften gelten gewöhnlich als abgeschlossene Bereiche und damit nicht als allgemein zugänglich. Weiterhin können bei der Zusammenarbeit mit Schiffswerften zur Absicherung der gemeinsamen Interessen der Geschäftsparteien bei Fehlen eines anderweitigen Schutzes ausdrückliche oder stillschweigende Geheimhaltungsverpflichtungen nicht ausgeschlossen werden. Im konkreten Fall war außerdem fraglich, ob die relevanten Verfahrensschritte und die funktionelle Auslegung der Schaltungsmittel hierfür durch bloße Inaugenscheinnahme von eingebauten Einrichtungen erkennbar waren und wann die Energieerzeugeranlagen in Betrieb genommen wurden. Die Kammer ließ daher die offenkundigen Vorbenutzungen außer Betracht.
In T 801/98 betreffend eine Vorbenutzung durch Verkauf, deren öffentliche Zugänglichkeit Schwierigkeiten bereitete, war die Vorbenutzung erwiesen und bestand in einer Lieferung von Türschlössern an ein psychiatrisches Krankenhaus vor dem Prioritätstag des Streitpatents. Die Kammer kam hier zu dem Schluss, dass der öffentliche Charakter nicht ausreichend erwiesen war.
In T 945/09 (Patient – klinische Versuche) bejahte die Kammer das Vorliegen einer Vorbenutzung, nicht aber deren öffentlichen Charakter.
In T 1410/14 wurde von den Parteien nicht bestritten, dass am 26. April 2004 ein Fahrzeug ("City Runner") mit den Merkmalen des strittigen Anspruchs 1 im öffentlichen Verkehrsraum in einer Stadt gefahren ist. Weiterhin war unstrittig, dass das streitgegenständliche Koppelgelenk lediglich von oben, nämlich von einer Fußgängerbrücke, die über die Fahrtrasse führt, einsehbar gewesen ist. Die Kammer sah es aber nicht als bewiesen an, dass ein Fachmann die Möglichkeit hatte, während dieser Vorbenutzungshandlung alle Merkmale der Erfindung zu erkennen. Insbesondere hatte der Beschwerdeführer nicht ausreichend dargetan, dass für den Fachmann das Merkmal 1.5, wonach eine zur Schwenklagerung gehörende Konsole am Wagenkasten verschiebbar gehalten werde, bei den Testfahrten erkennbar gewesen war. Zusammenfassend stellte die Kammer fest, dass Merkmale eines nur für einen kurzen Zeitraum sichtbaren Gegenstands nur dann der Öffentlichkeit zugänglich geworden sind, wenn zweifelsfrei nachgewiesen ist, dass für den Fachmann in diesem kurzen Zeitraum die Merkmale eindeutig und unmittelbar zu erkennen waren. In T 1551/14 berief sich der Patentinhaber auf T 363/90 und T 1410/14. Nach Ansicht der Kammer betrafen diese Entscheidungen andere Umstände.
In T 1217/01 war das Dokument D1g' (Rechnung) die einzige Vorwegnahme mit Bezug auf die angeführte öffentliche Vorbenutzung, die ein Datum vor dem Prioritätstag des Streitpatents aufwies. Sie offenbarte jedoch nicht die Zusammensetzung des angeführten Artikels. Folglich konnte die Bestimmung der Zusammensetzung des Artikels, dessen Verkauf behauptet wurde, der Kammer zufolge nur durch eine "Rückwärtsüberlegung" ausgehend von D1g' erfolgen, wobei man über die Herstellung (Konditionieren, Mischen, Wiegen, Ausarbeiten) des Artikels zur Rezeptur für die benutzte Zusammensetzung gelangte. Insbesondere aufgrund der Änderungen in Bezeichnung und Nummerierung der Produkte, die nicht erlaubten, die Herkunft des angefochtenen Produkts mit Sicherheit zu rekonstruieren, befand die Kammer abschließend, dass die vom Beschwerdeführer (Einsprechenden) vorgelegten Beweise nicht überzeugend genug waren.
In T 1534/16 meldete der Beschwerdeführer (Patentinhaber) Zweifel an, was die öffentliche Zugänglichkeit der Anlagen gemäß den behaupteten Vorbenutzungen betraf, und verwies dabei insbesondere auf das Vorliegen einer Geheimhaltungsverpflichtung. Die Kammer hielt die Zweifel des Beschwerdeführers für berechtigt und befand, dass für weitere Ermittlungen die Mitwirkung des Einsprechenden erforderlich sei, der seinen Einspruch zurückzog. Die Kammer kam zu dem Schluss, dass die Behauptung einer Vorbenutzung nicht zu berücksichtigen war.
In T 72/16 befand die Kammer, dass einer Lieferung von 48 Rohrabschnitten zumindest eine implizite Geheimhaltungsvereinbarung zugrunde lag. Der Empfänger war kein reiner Kunde, vielmehr hatte eine der betreffenden Firmen die andere beauftragt, Prototypen und Produkte für Testzwecke zu entwickeln und zu liefern.