6.5. Computerimplementierte Erfindungen
Vormals Abschnitt I.A.2.4.4. Dieser Abschnitt wurde aufgrund von Aktualisierungen in vorhergehenden Abschnitten umnummeriert. Am Inhalt dieses Abschnitts wurden keine Änderungen vorgenommen. |
Die Präsidentin des EPA legte der Großen Beschwerdekammer in Wahrnehmung ihrer Befugnisse nach Art. 112 (1) b) EPÜ mehrere Rechtsfragen zur Anwendung des Ausschlusses von Computerprogrammen als solchen und zu den Grenzen der Patentierbarkeit auf dem Gebiet der Informatik zu. Insbesondere legte sie der Großen Beschwerdekammer die folgende Rechtsfrage vor (s. G 3/08 date: 2010-05-12, Vorlagefrage 1): Kann ein Programm für Datenverarbeitungsanlagen nur dann als Programm für Datenverarbeitungsanlagen als solches von der Patentierbarkeit ausgeschlossen werden, wenn es ausdrücklich als Programm für Datenverarbeitungsanlagen beansprucht wird?
In der Stellungnahme G 3/08 date: 2010-05-12 (ABl. 2011, 10) stellte die Große Beschwerdekammer fest, dass ein Anspruch mit einem Synonym für "Programm für Datenverarbeitungsanlagen" wie etwa "eine Abfolge von computerausführbaren Anweisungen" oder vielleicht "ein ausführbares Software-Modul" das Patentierungsverbot eindeutig nicht überwinden würde, wenn es der äquivalente Anspruch auf ein Programm für Datenverarbeitungsanlagen nicht täte. Doch die in der Vorlage festgestellte angebliche Abweichung bezieht sich nicht nur auf die Wortwahl. Die Diskussion erstreckt sich auch auf "die Funktion des Computerprogramms (hat das beanspruchte Programm technischen Charakter) und nicht auf die Art und Weise, wie es beansprucht wird (z. B. als Computerprogramm, als Computerprogrammprodukt oder als computerimplementiertes Verfahren)".
Die Große Beschwerdekammer stellte fest, dass die Kammer in T 424/03 letztlich zu einem Schluss gelangt war, der klar im Widerspruch zu der Position (bzw. einer der Positionen) der Entscheidung T 1173/97 (ABl. 1999, 609) stand. In T 1173/97 hieß es: "Darüber hinaus ist die Kammer der Ansicht, dass es im Hinblick auf das Patentierungsverbot gemäß Art. 52 (2) und (3) EPÜ keinen Unterschied macht, ob ein Computerprogramm allein beansprucht wird oder als Aufzeichnung auf einem Datenträger ..." (Nr. 13 der Gründe), während in T 424/03 festgestellt wurde: "Der Gegenstand des Anspruchs 5 hat technischen Charakter, weil er sich auf ein computerlesbares Medium bezieht, d. h. auf ein technisches Erzeugnis, das einen Datenträger umfasst (s. T 258/03)" (Nr. 5.3 der Gründe). In diesem Punkt bestand also ein Unterschied zwischen den in T 1173/97 und T 424/03 vertretenen Positionen. Zu klären blieb jedoch, ob dieser Unterschied eine Abweichung darstellt, die eine präsidiale Vorlage rechtfertigt.
Die Große Beschwerdekammer wies darauf hin, dass in der Vorlage nicht eine einzige Entscheidung einer Beschwerdekammer des EPA genannt wird und es auch nach Kenntnis der Großen Beschwerdekammer keine gibt, die der Entscheidung T 1173/97 in diesem Punkt folgt (obwohl T 1173/97 offensichtlich als wegweisend angesehen wird, was ihre Definition des "weiteren technischen Effekts" und die Abkehr vom Beitragsansatz beim Patentierungsausschluss betrifft). Zweitens wurde die in T 424/03 getroffene Schlussfolgerung später in keiner Entscheidung infrage gestellt; sie erfolgte auch nicht isoliert, sondern kam vielmehr als letzte in einer Reihe von Entscheidungen zustande, deren Logik durchgängig ist, und es gibt, zumindest nach Wissen der Kammer, auch keine spätere Entscheidung einer Beschwerdekammer des EPA, die sie infrage gestellt hätte (nationale Gerichtsurteile sind etwas anderes).
Die Große Beschwerdekammer gelangte zu dem Schluss, dass die in T 424/03 vertretene Position, dass ein Anspruch für ein Programm auf einem computerlesbaren Speichermedium zwangsläufig nicht unter das Patentierungsverbot des Art. 52 (2) und (3) EPÜ 1973 fällt, eigentlich eine Konsequenz aus den in T 1173/97 dargelegten Grundsätzen ist. Sie stellte fest, dass die Entscheidung T 424/03 somit zwar durchaus von einem in T 1173/97 vertretenen Standpunkt abweicht, ob ein Anspruch für ein Programm auf einem computerlesbaren Medium zwingend unter das Patentierungsverbot nach Art. 52 (2) EPÜ 1973 fällt. Dies beruht jedoch auf einer legitimen Weiterentwicklung der Rechtsprechung. Daher war die Große Beschwerdekammer der Auffassung, dass dies keine Abweichung begründete, die eine präsidiale Vorlage an die Große Beschwerdekammer rechtfertigen würde (für weitere in diesem Zusammenhang angestellte rechtliche Erwägungen s. Nr. 5 bis 7 der Stellungnahme G 3/08 date: 2010-05-12).
In G 3/08 date: 2010-05-12 (ABl. 2011, 10) (2. Vorlagefrage) stellte die Große Beschwerdekammer fest, dass ein Anspruch auf dem Gebiet der Programme für Datenverarbeitungsanlagen das Patentierungsverbot nach Art. 52 (2) c) und (3) EPÜ allein schon dadurch überwinden kann, dass ausdrücklich die Verwendung einer Datenverarbeitungsanlage oder eines computerlesbaren Datenspeichermediums erwähnt wird. Jegliche Darlegung dieser Position wäre jedoch unvollständig ohne den Hinweis darauf, dass aus der Rechtsprechung der Beschwerdekammern seit T 1173/97 auch ganz klar hervorgeht, dass – wenn ein Anspruch auf das Programm X unter das Patentierungsverbot des Art. 52 (2) und (3) EPÜ fällt – ein Anspruch, der nichts Näheres spezifiziert als "Programm X auf einem computerlesbaren Speichermedium" oder "Verfahren zum Betrieb eines Computers gemäß Programm X" immer noch nicht patentierbar wäre, weil er nach den Art. 52 (1) und 56 EPÜ nicht erfinderisch ist.
Die Große Beschwerdekammer stellte Folgendes fest: In T 424/03, Microsoft wurde die Begründung aus T 258/03 schließlich dahin gehend ausgeweitet, dass ein Anspruch für ein Programm (im betreffenden Anspruch "durch Computer ausführbare Anweisungen") auf einem computerlesbaren Medium ebenfalls zwingend dem Patentierungsverbot des Art. 52 (2) EPÜ entgeht. In der Entscheidung T 424/03 wurde darüber hinaus festgestellt, dass das betreffende Programm bei seiner Ausführung das Potenzial zur Erzielung eines weiteren technischen Effekts habe und dadurch ebenfalls zum technischen Charakter des Anspruchsgegenstands beitrage. Die Große Beschwerdekammer stellte fest, dass dies jedoch gar nicht erforderlich für die Schlussfolgerung war, dass der beanspruchte Gegenstand nicht unter das Patentierungsverbot fiel, denn nach der Begründung in T 258/03 reichte die Beanspruchung beliebiger technischer Mittel aus, um das Patentierungsverbot des Art. 52 (2) EPÜ zu überwinden.