2.3. Überraschende Gründe
Unter "Gründe" sind nach Art. 113 (1) EPÜ diejenigen wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe zu verstehen, auf die sich die Entscheidung stützt (T 532/91, T 105/93, T 187/95, T 1154/04, T 305/14). In T 951/92 (ABl. 1996, 53) hat die Kammer entschieden, dass mit "Gründe" nicht der Begriff im engeren Sinne zu verstehen ist. Die Kammer war der Ansicht, dass der Begriff "Gründe" nicht einfach im engen Sinne einer zu erfüllenden Voraussetzung nach dem EPÜ zu verstehen ist, sondern dass er Bezug nimmt auf die sich auf die Tatsachen und die rechtlichen Gründe stützenden Überlegungen, die zur Ablehnung des Antrags geführt haben (s. auch T 1423/15).
In T 556/15 wurde die angefochtene Entscheidung der Prüfungsabteilung ausschließlich mit einem Verstoß gegen Art. 123 (2) EPÜ begründet. Die Beschwerdekammer verglich die nach Art. 123 (2) EPÜ in den beiden Mitteilungen der Prüfungsabteilung erhobenen Einwände mit der Entscheidungsbegründung. Der Beschwerdeführer hatte keine Möglichkeit, zu den Entscheidungsgründen Stellung zu nehmen. Der Kammer zufolge sollte der Begriff "Gründe" in Art. 113 (1) EPÜ nicht eng ausgelegt werden, sondern im Sinne von T 951/92 (s. auch T 233/18). Der vorliegende Fall unterschied sich jedoch von der Sache T 951/92 insofern, als in T 556/15 die Mitteilungen der Prüfungsabteilung zwar detaillierte Einwände nach Art. 123 (2) EPÜ enthielten, diese Einwände aber keines der Elemente betrafen, auf die sich die Entscheidung abschließend stützte. Der Beschwerdeführer erfuhr somit erst mit Erhalt der Entscheidung von den Merkmalen der strittigen Ansprüche, die gegen Art. 123 (2) EPÜ verstießen, obwohl er vor der Entscheidung mehrmals die Gelegenheit hatte, seine Ansprüche zu ändern.
In T 375/00 war der Beschwerdeführer (Einsprechende) der Auffassung, die von der Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung genannte technische Aufgabe weiche von der in der vorangegangenen Verhandlung erörterten ab. Die Kammer stellte fest, dass der Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör nicht verletzt worden sei, da die Definition der objektiven Aufgabe zu den Argumenten und nicht zu den Gründen im Sinne von Art. 113 (1) EPÜ gehöre.
In T 33/93 stellte die Kammer fest, dass die erstmalige Bezugnahme auf eine Kammerentscheidung in der angefochtenen Entscheidung kein neuer Grund und kein neues Beweismittel im Sinne von Art. 113 (1) EPÜ, sondern lediglich eine Wiederholung von Argumenten sei, da damit nur die dem Beschwerdeführer ordnungsgemäß zur Kenntnis gebrachte Auffassung bestätigt werde.
In T 1634/10 hatte die Prüfungsabteilung eine mit Gründen versehene Mitteilung erlassen, in der sie ihre Einwände angesichts von zwei Dokumenten aus dem Stand der Technik darlegte. Die Kammer urteilte, dass die bloße Tatsache, dass die Prüfungsabteilung dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht gefolgt war, keine Verletzung des rechtlichen Gehörs darstelle.
In T 2238/11 argumentierte der Beschwerdeführer, die Prüfungsabteilung habe in der angefochtenen Entscheidung unter "Sonstige Bemerkungen" den beanspruchten Gegenstand überraschenderweise für nicht neu befunden. Er brachte vor, dass er in dieser Frage nicht gehört worden sei. Die Anfechtung der Entscheidung war aber auf mangelnde erfinderische Tätigkeit gestützt, nicht auf mangelnde Neuheit. Die Kammer befand, dass der Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör nicht verletzt ist, wenn der Beteiligte keine Gelegenheit hatte, sich zu Bemerkungen in einem obiter dictum zu äußern (T 726/10 und T 725/05). Die Rubrik "Sonstige Bemerkungen" in der angefochtenen Entscheidung bildete keinen Teil der eigentlichen Entscheidung.