3. Zurücknahme des Einspruchs
Der Ermessensspielraum, den eine Einspruchsabteilung bei der Entscheidung über die Fortsetzung des Verfahrens nach R. 84 (2) EPÜ hat, ist zu unterscheiden von dem sehr viel engeren Rahmen, in dem die Beschwerdekammern über die Auswirkung der Zurücknahme eines Einspruchs entscheiden müssen. Die Auswirkung einer Zurücknahme auf das Einspruchsbeschwerdeverfahren hängt davon ab, ob der Einsprechende der einzige Beschwerdeführer ist oder nicht.
In G 8/93 (ABl. 1994, 887) war die Große Beschwerdekammer der Auffassung, dass eine Erklärung des Einsprechenden und einzigen Beschwerdeführers, dass er seinen Einspruch zurücknimmt, nur als Zurücknahme der Beschwerde betrachtet werden kann, wodurch das Beschwerdeverfahren in Bezug auf alle Sachfragen unmittelbar und automatisch beendet ist (G 7/91, G 8/91, ABl. 1993, 356 und 346 und ABl. 1993, 478). Dies gilt unabhängig davon, ob der Patentinhaber sein Einverständnis erklärt hat. Das Verfahren wird auch dann beendet, wenn nach Ansicht der Kammer die Voraussetzungen für eine Aufrechterhaltung des Patents nach dem Übereinkommen nicht gegeben sind. Die Große Beschwerdekammer unterstrich damit nochmals, dass ein Unterschied besteht zwischen der Befugnis, ein Verfahren einzuleiten und fortzusetzen, und der Befugnis, in einem anhängigen Verfahren den Sachverhalt zu klären. Nach der Rechtsprechung der Großen Beschwerdekammer liegt erstgenannte Befugnis ausschließlich beim Beschwerdeführer, während die letztgenannte Befugnis nach Art. 114 EPÜ 1973 von der Kammer ausgeübt werden kann, wenn ein Verfahren anhängig ist.
Hingegen hat die Rücknahme des Einspruchs nach ständiger Rechtsprechung keine unmittelbaren verfahrensrechtlichen Folgen für das Beschwerdeverfahren, wenn der Einsprechende Beschwerdegegner war und das Streitpatent mit der angefochtenen Entscheidung widerrufen wurde (T 629/90, ABl. 1992, 654; gefolgt von zahlreichen Entscheidungen, unter anderem T 789/89, ABl. 1994, 482, T 194/90, T 627/92 sowie den neueren Entscheidungen T 46/10, T 727/10, T 2061/11, T 1216/12, T 289/16). In einem solchen Fall hat die Kammer die Entscheidung der Einspruchsabteilung inhaltlich zu prüfen und kann nur dann diese Entscheidung aufheben und den Einspruch zurückweisen, wenn die vorgebrachten Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des erteilten Patentes nicht entgegenstehen. Bei dieser Prüfung können Beweismittel, die vom Beschwerdegegner vor der Zurücknahme des Einspruchs vorgebracht worden sind, herangezogen werden (T 629/90, ABl. 1992, 654; s. auch T 900/03, T 340/05, T 46/10, T 727/10, T 817/12). Laut T 46/10 kann die Kammer darüber hinaus die von dem Beschwerdegegner (Einsprechenden) vor der Zurücknahme des Einspruchs vorgebrachten Argumente berücksichtigen (s. auch T 1657/14).
Das Einspruchsbeschwerdeverfahren wird auch dann fortgesetzt, wenn sowohl der Patentinhaber als auch der Einsprechende Beschwerde eingelegt haben, der Einsprechende aber seinen Einspruch im Laufe des Beschwerdeverfahrens zurücknimmt. Mit der Zurücknahme des Einspruchs gilt auch die Beschwerde als zurückgenommen, und der Einsprechende ist in Bezug auf die Sachfragen nicht mehr am Beschwerdeverfahren beteiligt (T 922/01, T 1346/10).