4.5.8 Einreichung neuer Tatsachen, Einwände, Argumente und Beweismittel – außergewöhnliche Umstände verneint
In T 1756/16 rechtfertigte nach Ansicht der Kammer der Umstand, dass der mit der Beschwerdeerwiderung eingereichte Hilfsantrag 1 in Reaktion auf die Mitteilung nach Art. 15(1) VOBK 2020 nochmals geringfügig geändert worden war, den danach eingereichten, neuen Einwand (mangelnder erfinderischer Tätigkeit) des Beschwerdeführers nicht, da der neue Hilfsantrag 1 inhaltlich dem alten entsprach und der Beschwerdeführer die Möglichkeit gehabt hatte, auf dessen Einreichung zu reagieren. Die Kammer wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die neue Verfahrensordnung den Kammern auferlegt, eine Ladung in inter partes Verfahren frühestens zwei Monate nach Erhalt der Beschwerdeerwiderung zu versenden (Art. 15 (1) VOBK 2020). Ziel dieses zeitlichen Ablaufs ist es, den Beteiligten die Möglichkeit zu geben, auf die schriftliche Erwiderung mit Vorbringen zu reagieren, das unter die weniger strenge zweite Stufe des Konvergenzansatzes fällt.
In T 482/18 äußerte der Beschwerdeführer (Einsprechende) im Beschwerdeverfahren erstmals in der mündlichen Verhandlung Einwände gemäß Art. 123(2) und 84 EPÜ gegen einen Begriff in den Ansprüchen des Hauptantrages, der mit dem Hilfsantrag identisch war, auf dessen Grundlage die Einspruchsabteilung das Patent aufrechterhalten hatte. Vor der Einspruchsabteilung hatte die Einsprechende das betreffende Merkmal nicht nach Art. 123(2) EPÜ angegriffen, einen diesbezüglichen Klarheitseiwand wies die Einspruchsabteilung zurück. Die Argumente des Einsprechenden für die Zulassung dieser Änderung des Beschwerdevorbringens wies die Kammer zurück. Insbesondere konnte die Kammer aus Art. 114 EPÜ 1973 (identisch mit Art. 114 EPÜ) eine grundsätzlich absolute Berechtigung, solche Einwände unter allen möglichen Umständen und zu jedem Zeitpunkt geltend zu machen, oder gar die von der Einsprechenden geltend gemachte Verpflichtung der Kammer zur Ermittlung von Amts wegen, nicht ableiten.
In T 1771/17 erhob der Beschwerdeführer (Einsprechende) einen Neuheitseinwand gegen Anspruch 1 des Hilfsantrags 2B, der als legitime Reaktion auf die vorläufige Einschätzung der Kammer eingereicht worden war und zugelassen wurde. Die Kammer stellte fest, dass der Hilfsantrag 2B auf einem Antrag basierte, der bereits in der Akte enthalten war und gegen den der Beschwerdeführer im schriftlichen Verfahren keinen Einwand erhoben hatte. Da der neue Neuheitseinwand ebenso für den früheren Antrag gegolten hätte und der Beschwerdeführer keine stichhaltigen Gründe dafür nannte, warum der Einwand nicht früher eingereicht worden war, entschied die Kammer, in nicht zu berücksichtigen.
In T 847/20 wurde die Zulassung eines mit der Beschwerdebegründung eingereichten Antrags vom Beschwerdegegner (Einsprechenden) erst während der mündlichen Verhandlung angefochten. Die Kammer war der Auffassung, dass der Einwand gegen die Zulassung dieses Antrags mit der Erwiderung des Beschwerdegegners hätte erhoben werden sollen. Da keine triftigen Gründe dafür vorlagen, warum dieser Einwand während der mündlichen Verhandlung erhoben wurde, befand es die Kammer für angemessen, ihr Ermessen nach Art. 13 (2) VOBK 2020 dahingehend auszuüben, ihn nicht zum Verfahren zuzulassen.