9. Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit
Bei der Ermittlung der erfinderischen Tätigkeit im Falle einer neuartigen Anwendung einer bekannten Maßnahme untersuchen die Beschwerdekammern, ob die Aufgabe, die mit einer bekannten Maßnahme in einem bekannten Fall gelöst worden war, sich von der Aufgabenstellung in dem zu entscheidenden Fall unterscheidet oder nicht. Wenn diese Untersuchung ergibt, dass kein grundsätzlicher Unterschied zwischen den beiden Aufgabenstellungen besteht, lässt sich im Prinzip folgern, dass keine erfinderische Tätigkeit vorliegt, wenn die bekannte Maßnahme übernommen wird (s. insbesondere T 39/82, ABl. 1982, 419; T 142/84, ABl. 1987, 112; T 332/90; T 485/91; T 25/97). Gerade in T 39/82 (ABl. 1982, 419) wurde festgestellt, dass es für den Fachmann nicht naheliegend sein konnte, die bekannte Maßnahme in anderem Zusammenhang zu verwenden, da sich die Aufgabenstellungen in den beiden Fällen grundsätzlich voneinander unterschieden.
Mit Hinweis auf T 39/82 (ABl. 1982, 419) führte die Kammer in T 818/93 aus, dass bei einer Kombinationserfindung alle Merkmale als solche bekannt sein können und die Erfindung in deren struktureller und auch funktioneller Verknüpfung besteht. Für die erfinderische Tätigkeit der vorliegenden Kombination war es demnach ohne Belang, dass bereits eine geeignete Struktur bekannt war, solange deren Einsatz und Anwendung unter den im Patent offenbarten Bedingungen und Umständen nicht durch den entgegengehaltenen Stand der Technik nahegelegt wurde. Zu weiteren Kombinationserfindungen siehe in diesem Kapitel I.D.9.3.
In T 741/92 bestand die Erfindung in der neuartigen Anwendung eines bekannten Mittels, nämlich einer bestimmten Maschenstruktur. Bei derartigen Erfindungen ist es nach Auffassung der Kammer nur von geringer Bedeutung, dass das Mittel an sich bekannt ist, wenn bei der Anwendung neuartige Eigenschaften und Zwecke ins Spiel kommen. Das bekannte Mittel wurde bei der Erfindung zur Erzielung eines zuvor noch nicht bekannten und auch nicht offensichtlichen Ergebnisses angewandt.
In T 301/90 fasste die Beschwerdekammer zusammen, dass für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit der allgemein anerkannte Grundsatz gelte, dass die Anwendung einer bekannten Maßnahme zur Erzielung eines bekannten Ergebnisses aufgrund der zu erwartenden inhärenten Wirkung dieser Maßnahme zwar in der Regel nicht erfinderisch sei, dass jedoch die Angabe eines neuen, nicht offensichtlichen technischen Ergebnisses, das sich durch diese bekannten Wirkungen erzielen lasse (für den Bereich Chemie s. T 4/83, ABl. 1983, 498 und für den Bereich der Physik s. T 39/82, ABl. 1982, 419), diese bekannte Maßnahme zu einem neuen, erfinderischen Werkzeug zur Lösung einer neuen technischen Aufgabe machen könne und damit eine Bereicherung des Stands der Technik und eine erfinderische Tätigkeit darstelle (T 1096/92, T 238/93).
In T 590/90 trugen die Beschwerdegegner vor, die beiden Maßnahmen, durch die sich die technische Lehre des Streitpatents von jener des Dokuments 1 unterscheide, seien als solche bereits Stand der Technik und ihre Übertragung auf das in Dokument 1 beschriebene Verfahren naheliegend. Die Kammer war hingegen der Auffassung, dass die Übertragung einer an sich bekannten Maßnahme entgegen einer durch mehrere Dokumente gestützten Warnung nicht naheliegend sei. Da diese Maßnahme auf erfinderischer Tätigkeit beruhe, beruhe auch das diese Maßnahme umfassende Gesamtverfahren des Anspruchs 1 auf erfinderischer Tätigkeit: Bei einer Abwandlung eines bekannten Verfahrens durch zwei Maßnahmen, von denen jedenfalls eine nicht naheliegend sei, sei das Gesamtverfahren erfinderisch.