5.1. Ausschlussgründe nach Artikel 24 (1) EPÜ
In T 1028/96 vom 15. September 1999 date: 1999-09-15 (ABl. 2000, 475) erklärte die Kammer, dass ein Mitglied einer Kammer im Einspruchsbeschwerdeverfahren, das an der Entscheidung über die Erteilung des Patents mitgewirkt hat, nicht im Sinne des Art. 24 (1) EPÜ "an der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat". Unter bestimmten besonderen Umständen ist jedoch bei Mitgliedern einer Beschwerdekammer im Einspruchsbeschwerdeverfahren gemäß Art. 24 (3) EPÜ "Befangenheit zu besorgen", wenn sie an der Entscheidung über die Erteilung des angefochtenen Patents mitgewirkt haben.
In J 15/04 prüfte die Juristische Kammer, ob der Ausschluss eines Kammermitglieds vom Verfahren immer dann angezeigt ist, wenn es an der Erledigung früherer Fälle mitgewirkt hat, die einen funktionellen Zusammenhang mit dem aktuell vorliegenden aufweisen. Würden Kammermitglieder ausgeschlossen, weil die betreffende Beschwerdekammer die gleiche Rechtsfrage stets in gleicher Weise entscheide, so würde jede ständige Rechtsprechung einer Kammer zu einem Ausschluss ihrer Mitglieder führen, sobald sich die gleiche Rechtsfrage stelle. Der Grundsatz der Verfahrenseffizienz sei wohlgemerkt ebenfalls ein wesentliches Element des Rechts auf ein faires Verfahren und wiege mehr als eine angebliche, allgemein "mögliche" Besorgnis der Befangenheit, die nicht auf besonderen Umständen des Falls gründet. Ebenso wenig schließt der Grundsatz des fairen Verfahrens generell aus, dass ein Mitglieder der Beschwerdekammern sich wiederholt mit der Angelegenheit eines Beteiligten befasst, wie es der Fall sein kann, wenn eine Kammer eine Sache an die erste Instanz zurückverweist und wenn für die Beschwerde gegen die daraufhin ergangene Entscheidung eine mit denselben Mitgliedern besetzte Kammer für zuständig erklärt wird. Die Juristische Kammer befand, dass jegliche breitere Auslegung der Formulierung "an deren abschließender Entscheidung in der Vorinstanz sie mitgewirkt haben" in Art. 24 (1) EPÜ darauf zu beziehen ist, ob in dem zu entscheidenden Fall spezielle Tatsachen aufgetreten sind, die ausreichen, um konkrete Zweifel an der richterlichen Objektivität des Kammermitglieds bei der Erledigung der Sache zu wecken, und die sich nicht bloß aus der Tatsache ableiten lassen, dass das Mitglied bereits an einem früheren Verfahren betreffend denselben Beteiligten oder dieselbe Rechtsfrage mitgewirkt hat. Art. 24 (1) EPÜ 1973 zielt nicht darauf ab, die Vermutung zu belegen, dass jede frühere Beteiligung eines Kammermitglieds an einem Fall, der die Interessen einer Partei tangiert, einen Verdacht der Befangenheit dieses Mitglieds in allen folgenden Fällen begründet, vielmehr soll gezielt ausgeschlossen werden, dass dieses Mitglied an der Überprüfung einer angefochtenen Entscheidung mitwirkt, die es selbst als Teil des Spruchkörpers erlassen hat. In dem betreffenden Fall (einer Teilanmeldung) wies die Juristische Kammer den Befangenheitseinwand zurück.
In T 1020/06 vom 28. November 2008 date: 2008-11-28 befand die Kammer, dass weder die Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2003) noch der Geschäftsverteilungsplan vorsieht, dass ein Mitglied von der Mitwirkung an einem vor einer Technischen Kammer anhängigen Verfahren ausgeschlossen wird, wenn dieses Mitglied bereits in einem anderen, vor derselben oder einer anderen Technischen Kammer anhängigen Verfahren mit einer ähnlichen Rechts- oder Tatfrage befasst war. Laut Art. 7 des Geschäftsverteilungsplans kann der Vorsitzende im Gegenteil sogar bestimmen, dass die Kammer in derselben Besetzung entscheidet, wenn bei der Kammer anhängige Beschwerden in einem sachlichen Zusammenhang stehen. Dem Antrag auf Ablehnung der ursprünglichen Kammermitglieder wurde wegen Befangenheit nach Art. 24 (3) EPÜ 1973 nicht stattgegeben.
In T 1889/13 vom 14. März 2017 date: 2017-03-14 stellte die Kammer mit Verweis auf J 15/04 Folgendes fest: Der bloße Wunsch, dass eine Kammer nicht mit einer der relevanten faktischen oder rechtlichen Fragen in einer verwandten Sache befasst gewesen sein soll, kann keine Pflicht begründen, in Verfahren zu Teil- und Stammanmeldungen Kammern ohne jegliche Überschneidungen zu bestellen, wenn keine konkreten Fakten vorliegen, die konkrete Zweifel daran aufkommen lassen, dass die Kammermitglieder in der Lage sind, sich als Richter objektiv mit der Beschwerde auseinanderzusetzen. Praktische Erwägungen und der Verfahrensrahmen hätten nicht nur eine Bestimmung im Geschäftsverteilungsplan hervorgebracht, die identische Zusammensetzungen in eng verwandten Fällen begünstigt, sondern könnten sogar erfordern, dass in Fällen, in denen es um eng verwandte Fragen gehen kann, teilweise oder völlig identisch zusammengesetzte Kammern gebildet werden. Des Weiteren befand die Kammer, dass Fälle, in denen es um das Erteilungs- und das Einspruchsbeschwerdeverfahren zu ein und derselben Akte geht, klar von Fällen zu unterscheiden sind, in denen es um Stamm- und Teilanmeldungen geht. Die Konflikte und Einschränkungen bei Fällen, die das Erteilungs- und das Einspruchsbeschwerdeverfahren zu ein und derselben Akte betreffen, existieren nicht in Fällen, in denen es um Stamm- und Teilanmeldungen geht.