3.1. Offenbarung der in der Nachanmeldung beanspruchten Erfindung in der Voranmeldung
Vor G 2/98 (ABl. 2001, 413) konnten unter Umständen unterschiedliche Toleranzbereiche oder Grenzwertangaben in Vor- und Nachanmeldung in der Nachanmeldung beansprucht werden (s. T 212/88, ABl. 1992, 28; T 957/91; T 65/92; T 131/92 und "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA", 3. Aufl. 1998, S. 261 ff.) Die Sachverhalte sind jedoch nur bedingt vergleichbar, sodass sich die Frage, inwieweit die früher aufgestellten Grundsätze noch anwendbar sind, nicht eindeutig beantworten lässt. In den nachstehend zusammengefassten Entscheidungen wurde G 2/98 berücksichtigt.
In T 201/99 bezog sich Anspruch 1 des Patents auf eine mittlere Verweildauer von "1 - 10 Minuten", während in beiden Prioritätsanmeldungen eine Spanne "von ca. 1 - 6 Minuten" (Anspruch 1) oder für alle Beispiele eine spezifische Verweildauer von "ca. 3 Minuten" offenbart war. Nach Auffassung der Kammer boten die in den Prioritätsanmeldungen offenbarten Merkmale weder eine explizite noch eine implizite Offenbarung eines Prozesses, dessen zweiter Schritt "10 Minuten" dauert. Offensichtlich war darin also auch die gesamte Spanne von "1 - 10 Minuten" nicht unmittelbar und eindeutig offenbart. Die Kammer wies die Argumentation des Beschwerdeführers zurück, wonach der obere Wert von "6 Minuten" für die Länge des zweiten Schritts in den Prioritätsunterlagen nicht als Grenzwert offenbart sei (d. h. nicht als Wert, der möglicherweise mit der Funktion der Erfindung und mit ihrer Wirkung in Zusammenhang stehe) und somit ein Merkmal darstelle, das verändert werden könne, ohne das Wesen der Erfindung zu ändern.
In T 250/02 befand die Kammer, dass der Gegenstand eines Anspruchs, der auf ein pflanzliches ätherisches Öl mit einem Gesamtanteil von Carvacrol und Thymol von mindestens 55 Gew.-% und vorzugsweise 70 Gew.-% gerichtet sei und genaue Mischungsverhältnisse von Carvacrol zu Thymol offenbare, nicht unmittelbar und eindeutig aus einer Prioritätsunterlage abgeleitet werden könne, die lediglich ein pflanzliches Öl mit einem "Anteil an Thymol und Carvacrol von 55 % bis 65 %" offenbare.
Weitere Entscheidungen, die sich mit unterschiedlichen Bereichsangaben in Prioritätsdokument und streitigem Anspruchssatz beschäftigen, sind u. a. T 903/97, T 909/97, T 13/00, T 136/01, T 423/01, T 788/01, T 494/03 und T 537/03.