3.1. Regel 14 (1) EPÜ
Nach R. 14 (1) EPÜ (R. 13 (1) EPÜ 1973) muss das EPA das Erteilungsverfahren von Amts wegen aussetzen, wenn ein Dritter dem EPA nachweist, dass er ein Verfahren gegen den Anmelder eingeleitet hat mit dem Ziel, eine Entscheidung im Sinne des Art. 61 (1) EPÜ zu erwirken (s. J 28/94 date: 1996-12-04, ABl. 1997, 400; T 146/82 date: 1985-05-29, ABl. 1985, 267; J 10/02; J 6/10; J 7/10), es sei denn, der Dritte erklärt dem EPA gegenüber schriftlich seine Zustimmung zur Fortsetzung des Verfahrens oder die europäische Patentanmeldung ist zurückgenommen worden oder gilt als zurückgenommen (T 146/82 date: 1985-05-29, ABl. 1985, 267; J 28/94 date: 1996-12-04, ABl. 1997, 400). Eine Aussetzung des Verfahrens während des Zeitraums, in dem der Dritte auf gerichtlichem Weg den Anspruch auf Erteilung des europäischen Patents geltend macht, soll die Rechte des Dritten während der Dauer des Verfahrens zur Geltendmachung des Anspruchs sichern (J 7/96, ABl. 1999, 443; J 20/05, J 15/06, J 2/14, J 17/12). Ein Patentanmelder, dem kein rechtliches Gehör gewährt wird, wenn das Erteilungsverfahren auf Antrag eines Dritten nach R. 13 EPÜ 1973 ausgesetzt wird, kann diese Aussetzung sachlich anfechten (J 28/94 date: 1996-12-04, ABl. 1997, 400).
In J 14/19 fasste die Juristische Beschwerdekammer die bisherige Rechtsprechung wie folgt zusammen: Die Aussetzung des Erteilungsverfahrens wird unmittelbar an jenem Tag wirksam, an dem das Vorliegen der Voraussetzungen der R. 14 (1) EPÜ vom Dritten nachgewiesen wurde (J 9/12) und kann auch rückwirkend auf diesen Tag ausgesprochen werden (J 7/96, ABl. 1999, 443; J 36/97, J 15/06). Wurde die Aussetzung des Verfahrens von einer erstinstanzlichen Abteilung zu Unrecht angeordnet, kann im Beschwerdeverfahren nur die Fortführung des Erteilungsverfahrens mit Wirkung für die Zukunft angeordnet werden. Die unmittelbare Wirkung der Aussetzung kann weder rückwirkend beseitigt noch durch eine Entscheidung im Beschwerdeverfahren rückgängig gemacht werden (J 9/06; vgl. auch J 10/19).
In J 28/94 date: 1996-12-04 (ABl. 1997, 400) stellte die Juristische Kammer fest, dass ein Patentanmelder zu Recht kein rechtliches Gehör erhält, wenn es um die Aussetzung des Verfahrens geht, und verwies darauf, dass R. 13 EPÜ 1973 keinerlei diesbezügliche Bestimmungen enthält. Dass die Aussetzung automatisch und unverzüglich erfolgt, rechtfertigte sie dadurch, dass es sich um eine vorbeugende Maßnahme zugunsten des sie beantragenden Dritten handelt und dass die Rechte auf Erlangung des infrage stehenden Patents in vollem Umfang zu wahren sind.
In J 15/06 und J 18/06 folgte die Juristische Kammer der Begründung in J 28/94 date: 1996-12-04 (ABl. 1997, 400). In J 18/06 sah die Juristische Kammer die Mitteilung über die Anordnung der Aussetzung als vorläufige Verfahrenshandlung sui generis an, die als vorbeugende Maßnahme zur Wahrung möglicher Rechte eines Dritten an dem infrage stehenden Patent gerechtfertigt ist und sofort wirksam wird. In J 15/06 stellte die Juristische Kammer fest, dass die Zurücknahme des Antrags auf Aussetzung des Verfahrens durch den Beschwerdegegner die Lage im Beschwerdeverfahren maßgeblich verändert hatte. Im EPÜ gibt es zwar keine Vorschrift, wonach die Verfahrensaussetzung mit der Zurücknahme des Antrags auf Aussetzung automatisch endet. Ungeschriebene Voraussetzung für eine weitere Aussetzung des Verfahrens nach R. 13 EPÜ 1973 ist jedoch das Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses des Dritten. Die Zurücknahme des Antrags auf Aussetzung kommt daher einer Zustimmung zur Fortsetzung des Verfahrens nach R. 13 (1) EPÜ 1973 gleich und muss als solche verstanden werden.
Gemäß Art. 97 (4) EPÜ 1973 (Art. 97 (3) EPÜ) endet das Erteilungsverfahren erst an dem Tag, an dem im Europäischen Patentblatt auf die Erteilung hingewiesen wird. Bis dahin ist das Erteilungsverfahren noch vor dem EPA anhängig und ein Antrag auf Aussetzung des Verfahrens gemäß R. 13 EPÜ 1973 demnach zulässig (J 7/96, ABl. 1999, 443). S. auch J 33/95 vom 18. Dezember 1995 date: 1995-12-18, J 36/97, J 15/06, wonach das EPA auch nach der Bekanntmachung des Hinweises auf die Patenterteilung eine Aussetzung des Verfahrens nach R. 13 (1) EPÜ 1973 anordnen kann, sofern vor der Bekanntmachung ein zulässiger Antrag eingegangen war. Die Aussetzung bewirkt, dass das Erteilungsverfahren unverändert in dem Rechtsstadium verbleibt, in dem es sich zum Zeitpunkt der Aussetzung befand, d. h. in dem ausgesetzten Verfahren können weder das EPA noch die Parteien wirksam Rechtsakte vornehmen (J 38/92 und J 39/92). Siehe auch J 14/19, in der die Juristische Beschwerdekammer feststellte, dass der Nachweis des Vorliegens der Voraussetzungen für eine Aussetzung des Verfahrens gemäß R. 14 (1) EPÜ während eines anhängigen Erteilungsverfahrens und somit vor Bekanntmachung des Hinweises auf die Erteilung im Europäischen Patentblatt erfolgen muss. Beweismittel, die erst nach diesem Zeitpunkt eingereicht werden, dürfen vom Europäischen Patentamt hierfür nicht berücksichtigt werden.
In J 20/05, G 1/09 und J 9/12 stellten die Kammern fest, dass R. 14 EPÜ die Einreichung von Teilanmeldungen verhindert, wenn das Erteilungsverfahren zu der früheren Anmeldung ausgesetzt ist. In J 9/12 befand die Juristische Kammer, dass eine Anmeldung, die nach dem wirksamen Zeitpunkt der Verfahrensaussetzung hinsichtlich der Stammanmeldung, aber vor der Bekanntmachung der Aussetzung eingereicht wurde, als Teilanmeldung zu behandeln ist.
In J 10/02 machte der Beschwerdeführer geltend, dass in dem Fall, in dem gegen die Entscheidung, das Erteilungsverfahren auszusetzen, Beschwerde eingelegt worden sei, offenbar ein Konflikt zwischen R. 13 und Art. 106 (1) EPÜ 1973 bestehe und dass die Bestimmungen eines Artikels Vorrang gegenüber den in einer Regel enthaltenen Bestimmungen hätten. Würde die Verfahrensaussetzung trotz der anhängigen Beschwerde aufrechterhalten, so wäre dies ein wesentlicher Verfahrensmangel. Die Kammer führte jedoch aus, die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde solle einem Beschwerdeführer einstweiligen Rechtsschutz in dem Sinne gewähren, dass keine Maßnahmen zur Durchsetzung der erstinstanzlichen Entscheidung getroffen werden dürften, um die Beschwerde nicht gegenstandslos werden zu lassen. Werde das Erteilungsverfahren jedoch fortgesetzt und gelinge es dem Beschwerdeführer, dieses endgültig zu seinen Gunsten zu entscheiden, so sei dies mehr als er erreichen könne, wenn er mit seiner Beschwerde Erfolg habe.