4.5.11 Auf neue Tatsachen, Einwände, Argumente und Beweismittel angewandte Ermessenskriterien
In T 1108/16 wurde vom Beschwerdeführer in Reaktion auf die Einreichung von Hilfsanträgen ein diesbezüglicher Einwand der Erweiterung des Schutzumfangs erhoben. Der Beschwerdegegner (Patentinhaber) erwiderte darauf nicht, da er der Auffassung war, dass keine neuen Sachverhalte durch den Beschwerdeführer vorgetragen worden seien. Die Kammer bemerkte dazu Folgendes: Dass ein Beteiligter die Schriftsätze der Gegenseite nicht sorgfältig analysiert und lieber die vorläufige Stellungnahme der Kammer abwartet, bevor er auf einen Einwand reagiert, widerspricht der auf die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung gerichteten Funktion des Beschwerdeverfahrens und dem dem Gebot der Verfahrensökonomie folgenden Prinzip des frühzeitigen und vollständigen Vorbringens der Beteiligen (Art. 106 (1) EPÜ, R. 99 (2) EPÜ und Art. 12 (2) VOBK 2020). Die Vorgehensweise des Beschwerdegegners war nach Ansicht der Kammer mit dem Gebot der Verfahrensökonomie unvereinbar. Sie ließ daher die erst in Reaktion auf die Mitteilung der Kammer vorgetragenen Argumente nicht ins Verfahren zu.
Der Gesichtspunkt, ob ein Einwand hätte früher eingereicht werden können, spielt auch eine Rolle im Rahmen der Prüfung, ob der Beteiligte stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt hat, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen. Siehe hierzu insbesondere die Kapitel V.A.4.5.4 b) "Kausaler Zusammenhang zwischen den außergewöhnlichen Umständen und der späten Einreichung", V.A.4.5.6 a) "Zweck der vorläufigen Einschätzung der Kammer" und V.A.4.5.8 c) "Keine stichhaltigen Gründe, warum der Einwand nicht früher erhoben worden war".