3.4. Neue Einspruchsgründe
In T 736/95 (ABl. 2001, 191) war der vom Beschwerdeführer nach Art. 100 c) EPÜ vorgebrachte Einspruchsgrund im Einspruchsschriftsatz nicht erwähnt worden. Die Einspruchsabteilung hatte sich entschieden, den neu angeführten Einspruchsgrund nicht zuzulassen, ohne den Beteiligten einen Hinweis zu geben, dass sie ihn für weniger bedeutsam erachtete. Unter Berücksichtigung der Entscheidungen G 10/91 (ABl. 1993, 420) und G 1/95 (ABl. 1996, 615) stellte die Kammer fest, dass die erste Instanz zumindest prüfen muss, ob ein neuer Einspruch relevant ist und möglicherweise einer Aufrechterhaltung des Patents entgegenstehen könnte. Da sie dies unterließ und ihre Zurückweisung lediglich damit begründete, dieser Grund sei verspätet vorgebracht worden, nahm sie der Beschwerdeführerin die Möglichkeit, die Relevanz dieses Einspruchsgrunds und damit seine Zulässigkeit im Beschwerdeverfahren überprüfen zu lassen.
In T 1340/15 machte der Beschwerdeführer geltend, dass "prima facie" als "auf den ersten Blick" zu verstehen sei und die rechtliche Frage, ob die erteilten Ansprüche von der ursprünglichen Offenbarung der Anmeldung abgedeckt seien (Art. 100 c) EPÜ), nicht prima facie beantwortet werden könne. Nach Auffassung der Kammer muss die Einspruchsabteilung gemäß G 10/91 nur feststellen, ob prima facie eindeutige Gründe für eine Prüfung auf unzulässige Erweiterung vorliegen. Der Prima-facie-Test darf nicht so eng ausgelegt werden, dass es möglich sein muss, "auf den ersten Blick" zu entscheiden, ob tatsächlich eine Verletzung von Art. 123 (2) EPÜ vorliegt. Im vorliegenden Fall hatte die Einspruchsabteilung aufgrund der offensichtlich unklaren Formulierung des betreffenden Abschnitts einen triftigen Grund, den neuen Einspruchsgrund zuzulassen.
In T 1298/15 betonte die Kammer, dass die Prima-facie-Relevanz eines verspätet geltend gemachten Einspruchsgrundes nach ständiger Rechtsprechung als Hauptkriterium zu prüfen ist. Daraus, dass die Einspruchsabteilung bei der Ermessensausübung keine weiteren Kriterien herangezogen hatte, ergab sich kein Ermessensfehler. Einen Rückgriff auf andere Kriterien in Art. 13 (1) und (3) VOBK 2007 – wie vom Beschwerdeführer (Einsprechenden) vorgetragen – lehnte die Kammer wegen des fundamental und strukturell verschiedenen Wesens von Einspruchs- und Beschwerdeverfahren ab. S. auch z. B. T 3077/19 und T 346/16.