2.4. Änderungen nach Regel 137 (3) EPÜ
R. 137 (3) EPÜ stellt die Zulassung von Änderungen in das Ermessen der Prüfungsabteilung, um sicherzustellen, dass das Prüfungsverfahren in möglichst wenigen Arbeitsgängen zum Abschluss gebracht wird. Bei der Ausübung ihres Ermessens muss die Prüfungsabteilung allen rechtserheblichen Faktoren Rechnung tragen; sie muss insbesondere das Interesse des Anmelders an einem rechtsbeständigen Patent und das seitens des EPA bestehende Interesse, das Prüfungsverfahren effizient zum Abschluss zu bringen, gegeneinander abwägen (Richtlinien, C‑IV, 3; H‑II, 2.3 – Stand März 2022). Bei der Erteilung oder Versagung ihrer Zustimmung hat die Prüfungsabteilung ihr Ermessen pflichtgemäß und im Einklang mit den in G 7/93 (ABl. 1994, 775) entwickelten Grundsätzen auszuüben, die zwar im Hinblick auf Änderungen im Vorfeld der Patenterteilung aufgestellt wurden, aber generell auf neue Anträge angewendet werden, die in einem späten Verfahrensstadium eingereicht werden (s. T 1064/04). Außerdem hat die Prüfungsabteilung die Ausübung ihres Ermessens nach R. 137 (3) EPÜ zu begründen (s. z. B. T 182/88, ABl. 1990, 287; T 183/89; T 755/96, ABl. 2000, 174).
In G 7/93 hat die Große Beschwerdekammer betont, dass eine Prüfungsabteilung bei der Ausübung ihres Ermessens nach R. 86 (3) EPÜ 1973 (jetzt R. 137 (3) EPÜ) allen im jeweiligen Fall rechtserheblichen Faktoren Rechnung tragen muss. Sie muss insbesondere das Interesse des Anmelders an einem in allen benannten Staaten rechtsbeständigen Patent wie auch das seitens des EPA bestehende Interesse, das Prüfungsverfahren durch Erlass eines Erteilungsbeschlusses zum Abschluss zu bringen, berücksichtigen und gegeneinander abwägen (s. auch T 1982/07). Über die Art und Weise, in der die Prüfungsabteilung ein derartiges Ermessen ausgeübt hat, sollte eine Beschwerdekammer sich nur hinwegsetzen, wenn sie zu dem Schluss gelangt, dass die Prüfungsabteilung ihr Ermessen nicht nach Maßgabe der richtigen Kriterien oder in unangemessener Weise ausgeübt hat und damit das ihr eingeräumte Ermessen überschritten hat (s. T 237/96 mit besonderem Verweis auf G 7/93, ABl. 1994, 775; T 182/88, ABl. 1990, 287; s. auch T 937/09, T 1214/09, T 918/14).
In T 573/12 stellte die Kammer fest, dass die Prüfungsabteilung, wie in G 7/93 (ABl. 1994, 775) ausgeführt, hinsichtlich der Zulassung einer Änderung allen im jeweiligen Fall rechtserheblichen Faktoren Rechnung tragen muss. Sie muss insbesondere das Interesse des Anmelders an einem Patent und das seitens des EPA bestehende Interesse, das Prüfungsverfahren zum Abschluss zu bringen, berücksichtigen und gegeneinander abwägen. Im vorliegenden Fall war der erste Bescheid der Prüfungsabteilung recht vage; die Erfindung wurde darin eher allgemein beurteilt, ohne die einzelnen Merkmale zu analysieren. Mit der später vom Beschwerdeführer eingereichten Änderung wurden den unabhängigen Ansprüchen Merkmale hinzugefügt. Nach Auffassung der Kammer erfolgte dies in redlicher Absicht. Es handelte sich außerdem um die erste Änderung, die der Zustimmung der Prüfungsabteilung bedurfte, und aus der Niederschrift ging hervor, dass die Prüfungsabteilung die hinzugefügten Merkmale besprechen konnte und dies auch tat. Den Antrag zuzulassen hätte keine übermäßige oder ungerechtfertigte Mehrarbeit bedeutet. In den Richtlinien (C‑VI, 4.7 – Stand April 2010) hieß es außerdem: "Bei kleineren Änderungen sollte sich der Prüfer verständnisvoll zeigen und abwägen zwischen Fairness gegenüber dem Anmelder und der Notwendigkeit, unnötige Verzögerungen und übermäßige, ungerechtfertigte Mehrarbeit für das EPA zu vermeiden." Angesichts dieser Umstände befand die Kammer, dass die Prüfungsabteilung nicht ordnungsgemäß alle relevanten Faktoren abgewogen habe, und konnte deren Verhalten deshalb nicht billigen.
In T 1045/18 wiederholte die Kammer, dass bei der Ausübung des Ermessens nach R. 137 (3) EPÜ eine Prüfungsabteilung alle relevanten Faktoren berücksichtigen muss; insbesondere soll sie einen Ausgleich finden zwischen dem legitimen Interesse des Anmelders an der Erteilung eines europäischen Patents und dem Interesse des EPA an einer effizienten Durchführung des Prüfungsverfahrens. Zu berücksichtigende Faktoren sind unter anderem der Verfahrensstand und die Frage, ob der Anmelder bereits ausreichend Gelegenheit zur Änderung der Anmeldung hatte. Ein anderer wesentlicher zu berücksichtigender Faktor bei der Ausübung des Ermessens ist, inwieweit die Änderungen dazu geeignet sind, einen erhobenen Einwand auszuräumen, ohne dabei offensichtlich, d. h. eindeutig und unmittelbar erkennbar, zu neuen Einwänden zu führen. Eine offensichtliche oder Prima-facie-Gewährbarkeit ist allenfalls ein Kriterium für die Zulassung verspätet eingereichter Änderungen (Richtlinien H‑II, 2.7.1). Im vorliegenden Fall war der geänderte Anspruchssatz aber innerhalb der nach R. 116 (2) EPÜ gesetzten Frist eingereicht worden (s. auch T 222/21).
In T 937/09 stellte die Kammer fest, dass eine pflichtgemäße Ausübung des in R. 137 (3) EPÜ verankerten Ermessens der Prüfungsabteilung, Änderungen der europäischen Patentanmeldung auch noch nach dem ersten Prüfungsbescheid zuzulassen, beinhaltet, dass sie Änderungen zulässt, die der Anmelder mit der Erwiderung auf einen Bescheid eingereicht hat, in dem sie einen bestimmten Mangel erstmalig substanziiert mitgeteilt hat, wenn sie diesen Mangel bereits im ersten Bescheid hätte rügen können und die Änderungen einen objektiv geeigneten Versuch zur Behebung dieses Mangels darstellen.
In T 166/86 (ABl. 1987, 372) befand die Kammer, dass die Prüfungsabteilung ihre Zustimmung zu einer Änderung nicht versagen darf, wenn der Anmelder diese aus triftigen Gründen erst so spät beantragen konnte oder die beantragte Änderung für ihn ersichtlich wesentlich ist und ihre Berücksichtigung keine nennenswerte Verzögerung des Erteilungsverfahrens zur Folge hat.
In T 229/93 entschied die Kammer, im vorliegenden Fall hätte die Prüfungsabteilung eher in Erwägung ziehen sollen, ihre Zustimmung zu den Änderungen nach R. 86 (3) EPÜ 1973 zu verweigern. Die Einreichung solcher Änderungen nach Ablauf der Frist zur Erwiderung auf den ersten Bescheid der Prüfungsabteilung in Form einer kompletten Neuschrift der Beschreibung habe nämlich gegen den Grundsatz der Verfahrensökonomie verstoßen (s. T 113/92).
In T 951/97 (ABl. 1998, 440) stellte die Kammer fest, dass eine Änderung sich in einem früheren Verfahrensstadium leichter durchsetzen lasse als in einem späteren Stadium. S. auch T 76/89, T 529/94, T 937/07. In T 674/17 beispielsweise übte die Kammer ihr Ermessen aus, den neuen Hauptantrag gemäß R. 137 (3) und 100 (1) EPÜ nicht zum Verfahren zuzulassen, denn der neue Hauptantrag (der erst eingereicht wurde, nachdem die Kammer eine Mitteilung nach Art. 15 (1) VOBK 2007 verschickt hatte) stellte einen neuen Sachverhalt dar.
In T 2324/14 hatte die Prüfungsabteilung festgestellt, dass die gemäß Art. 84 und 83 EPÜ erhobenen Einwände durch den Hilfsantrag prima facie nicht ausgeräumt würden, und dem Hilfsantrag gemäß R. 137 (3) EPÜ nicht zugestimmt. Im EPÜ sei nicht definiert, was es genau bedeute, wenn eine Prüfungsabteilung einer Änderung gemäß R. 137 (3) EPÜ zustimme bzw. ihre Zustimmung verweigere. Die Beschwerdekammern hätten allerdings gelten lassen, dass die Prüfungsabteilung ihre Entscheidung, einer Änderung nicht zuzustimmen, auf Prima-facie-Überlegungen stützen könne und dass sie sich weigern könne, einer prima facie mängelbehafteten Änderung zuzustimmen. Allerdings habe sich die Prüfungsabteilung bei der Prüfung des Hilfsantrags nicht auf Prima-facie-Überlegungen beschränkt. Tatsächlich habe die Prüfungsabteilung den Hilfsantrag in vollem Umfang berücksichtigt, da sie ihre Schlussfolgerung, dass auf der Grundlage dieses Antrags kein Patent erteilt werden könne, begründen konnte. Nachdem die Prüfungsabteilung den Hilfsantrag also in vollem Umfang berücksichtigt habe, habe sie – so die Kammer – keinen Ermessenspielraum, ihn "nicht zuzulassen". Diese Feststellungen wurden von der Kammer in T 2026/15 mit der Ergänzung bestätigt, dass dies einer impliziten Zulassung des Hilfsantrags durch die Prüfungsabteilung gleichkäme, die folglich dem Antrag gemäß R. 137 (3) EPÜ zugestimmt habe.
In T 1105/96 (ABl. 1998, 249) stellte die Kammer Folgendes fest: Teile eine Prüfungsabteilung, wie im vorliegenden Fall, mit, dass sie einen weiteren Antrag mit einer geänderten Fassung des Hauptanspruchs einer Anmeldung für gewährbar halte, so seien nur schwer Umstände vorstellbar, unter denen sie in rechtsfehlerfreier Ausübung ihres Ermessens die Zulässigkeit eines derartigen Antrags verneinen könne. Im vorliegenden Fall stellte die von vornherein bekundete Absicht, den Hilfsantrag zurückzuweisen, wenn der Anmelder nicht auf alle früheren Anträge verzichtete, zweifellos einen Verfahrensmissbrauch und einen Missbrauch des der Prüfungsabteilung durch R. 86 (3) EPÜ 1973 eingeräumten Ermessens dar, und damit auch einen wesentlichen Verfahrensmangel.
In T 2558/18 befasste sich die Kammer mit der Bindung der Prüfungsabteilung bei Zurückverweisung mit genau bezeichneten Unterlagen im Rahmen von R. 71 (3) EPÜ. Die Kammer erklärte, dass nach Art. 111 (1) Satz 2 EPÜ die Beschwerdekammer entweder im Rahmen der Zuständigkeit des Organs tätig wird, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat (Variante 1), oder verweist die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an dieses Organ zurück (Variante 2). In ihrem Orientierungssatz fasste sie folgendes zusammen: Verweist eine Beschwerdekammer eine Angelegenheit zur Erteilung eines Patents in genau bestimmter Fassung, d.h. mit genau bezeichneten Ansprüchen, Beschreibung und Zeichnungen, an die Prüfungsabteilung zurück, so beruht die Entscheidung über die Fassung des Patents auf Art. 111 (1) EPÜ Satz 2, Variante 1, EPÜ. Diese Patentfassung ist für die Prüfungsabteilung in Anwendung des in Art. 111 (2) EPÜ verankerten Rechtsgrundsatzes bindend (res judicata, rechtskräftig), in deren Anwendung auch die Zurückverweisung erfolgt. Das Verfahren nach R. 71 (6) EPÜ findet im Hinblick auf die sich aus Art. 111 (2) EPÜ ergebende bindende Wirkung gemäß Art. 164 (2) EPÜ keine Anwendung. Siehe Kapitel V.A.10.2.1 "Bindung der Prüfungsabteilung".