3.6. Rügepflicht
Nach R. 106 EPÜ wird ein Einwand nicht Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Antrags, wenn er im Beschwerdeverfahren nicht erhoben werden konnte. Wird der behauptete Verfahrensmangel für die Beteiligten erst aus der schriftlichen Entscheidungsbegründung ersichtlich (in R 3/10: durch die Entscheidungsverkündung), so hängt die Zulässigkeit des Antrags nicht davon ab, dass der entsprechende Einwand in der mündlichen Verhandlung erhoben wurde (R 4/08; s. beispielsweise auch R 1/08, R 2/08 (schriftliches Verfahren), R 9/08, R 3/09, R 4/09, R 7/09, R 11/09, R 19/10, R 8/11, R 21/11, R 14/13). Richtet sich ein Antrag hauptsächlich gegen die Entscheidungsbegründung, so ist im Zweifel zugunsten des Antragstellers davon auszugehen, dass es ihm nicht möglich war, vor Ende des Beschwerdeverfahrens einen Einwand zu erheben (R 1/11, s. auch R 18/14).
In R 16/09 beantragte der Antragsteller die Berichtigung der Niederschrift über die mündliche Verhandlung, damit festgehalten wird, in welcher Reihenfolge seiner Ansicht nach die Kammer die Verfahrensschritte befolgt hatte, um nachzuweisen, dass er den Verfahrensmangel während des Beschwerdeverfahrens nicht beanstanden konnte. Die Große Beschwerdekammer stellte fest, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Antragsteller keine Möglichkeit hatte, einen Einwand zu erheben, selbst wenn der Berichtigungsantrag zurückgewiesen wurde.
Im Ausgangsverfahren zu R 10/08 wollte der Antragsteller – vorgeblich während der Verkündung der Entscheidung in der mündlichen Verhandlung – einen neuen Hilfsantrag stellen; die Kammer sah sich jedoch formell an ihre bereits verkündete Entscheidung gebunden. Es war dem Antragsteller daher nicht mehr möglich, einen Einwand "im Beschwerdeverfahren" zu erheben. In R 12/14 erklärte die Große Beschwerdekammer jedoch, dass es nicht im Sinne von R. 106 EPÜ sei, dass der Beschwerdeführer den Vorsitzenden unterbricht, wenn die Verkündung der Entscheidung unmittelbar auf die Beendigung der sachlichen Debatte folgt.
In R 5/17 hatte der Antragsteller (Einsprechende) die Handlungen und Worte der Kammer in der angefochtenen Entscheidung falsch interpretiert und seine Strategie ohne weiteres Nachfragen auf diese Interpretation gestützt. Die Große Beschwerdekammer akzeptierte das Argument des Antragstellers nicht, dass zwar objektiv gesehen ein Einwand hätte erhoben werden können, er hätte aber genauso gut nicht erhoben werden können, weil der Antragsteller subjektiv gesehen keinen Anlass dazu gehabt habe. Der Antragsteller war allein für dieses Missverständnis verantwortlich und musste daher die Konsequenzen tragen.