10. Sekundäre Beweisanzeichen für das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit
Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist eine bloße Prüfung auf Beweisanzeichen für das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit kein Ersatz für die technisch-fachmännische Bewertung der Erfindung gegenüber dem Stand der Technik nach Art. 56 EPÜ. Liegen solche Anzeichen vor, so kann sich aber aus der Gesamtbetrachtung des Stands der Technik unter Abwägung aller maßgeblichen Fakten die erfinderische Tätigkeit ergeben, ohne dass allerdings der zwingende Schluss zu ziehen wäre, dass hieraus die erfinderische Tätigkeit regelmäßig folgt (s. T 24/81, ABl. 1983, 133; T 55/86). Solche zusätzlichen Beweisanzeichen sind nämlich nur in Zweifelsfällen von Bedeutung, wenn also die objektive Bewertung der Lehren des Stands der Technik noch kein klares Bild ergibt (T 645/94, T 284/96, T 71/98, T 323/99, T 877/99). Beweisanzeichen stellen somit lediglich Hilfserwägungen für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit dar (T 1072/92, T 351/93, T 179/18).
In T 754/89 – "EPILADY" bejahte die Kammer mit eingehender Begründung das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit. Obwohl vor allem im schriftlichen Vorbringen der Parteien Erwägungen wie Markterfolg, Überwindung eines Vorurteils, Alter der Entgegenhaltungen, Werbeaufwand und Schaffung eines neuen Marktsegments, Befriedigung eines lange bestehenden Bedürfnisses, Auftreten von Nachbauten und Verletzungsformen breiten Raum eingenommen hatten, kam es angesichts der technischen Fakten auf die sekundären Beweisanzeichen für erfinderische Tätigkeit nicht an.
In T 915/00 befand die Kammer, dass auch die gewerbliche Verwertung, die Lizenzvergabe und die Würdigung der Verdienste des Erfinders in wissenschaftlichen Fachkreisen überzeugende zusätzliche Indizien für das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit sind.
In T 1892/12 wies die Kammer darauf hin, dass die Kammern in Einzelfällen "Beweisanzeichen" für das Vorhandensein einer erfinderischen Tätigkeit berücksichtigt haben. Dieses Konzept wurde bislang nicht auf das Fehlen der erfinderischen Tätigkeit übertragen. Nach Art. 56 EPÜ gilt eine Erfindung als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Aufgrund der negativen Definition in Art. 56 EPÜ hielt die Kammer fest, dass das Vorhandensein der erfinderischen Tätigkeit grundsätzlich nicht bewiesen, aber mit Beweisanzeichen unter Umständen plausibel gemacht werden kann. Hingegen kann ihre Abwesenheit durch schlüssiges Aufzeigen eines naheliegenden Lösungswegs bewiesen werden. Der Beweis des Fehlens der erfinderischen Tätigkeit ist also im Prinzip möglich, und auch vonnöten, wenn fehlende erfinderische Tätigkeit geltend gemacht wird; die Tatsache, dass Beweisanzeichen vorliegen, ist in diesem Fall nicht ausreichend.
In T 179/18 war die Kammer nicht überzeugt, dass irgendeines der vom Beschwerdeführer angeführten Beweisanzeichen dem Gegenstand von Anspruch 1 erfinderischen Charakter verleihe. Sie verwies darauf, dass Beweisanzeichen wie die Befriedigung eines lange bestehenden Bedürfnisses, die Überwindung eines Vorurteils in der Fachwelt oder wirtschaftlicher Erfolg lediglich Hilfserwägungen für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit sind. Im vorliegenden Fall jedoch führte die Anwendung des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes zu dem eindeutigen Ergebnis, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht erfinderisch war.