4.3.4 Ermessen nach Artikel 12 (4) VOBK 2020
Dieser Abschnitt wurde aktualisiert, um die Rechtsprechung und Gesetzänderungen bis 31. Dezember 2023 zu berücksichtigen. Die vorherige Version dieses Abschnitts finden Sie in "Rechtsprechung der Beschwerdekammern", 10. Auflage (PDF). |
(i) Eignung von Anspruchsänderungen
In T 1655/20 (Ex-parte-Verfahren) war der Hilfsantrag, der erstmals mit der Beschwerdebegründung eingereicht wurde, eine Änderung des Vorbringens des Beteiligten, deren Zulassung im Ermessen der Kammer stand (Art. 12 (2) und (4) VOBK 2020). Die Kammer gelangte zu dem Schluss, dass die Änderung (Streichung von "insbesondere", wodurch ein Merkmal zwingend erforderlich wurde) eine weitere Einschränkung des Anspruchs bewirkte, mit der der Beschwerdeführer (Anmelder) den aufrichtigen Versuch einer Reaktion auf den Einwand mangelnder Neuheit unternahm, der von der Prüfungsabteilung in der angefochtenen Entscheidung erhoben worden war. Zudem führte diese Änderung nicht zu einem komplexen Gegenstand und schien keine weiteren Fragen aufzuwerfen, die sich nachteilig auf die Verfahrensökonomie auswirken könnten. Aus diesen Gründen ließ die Kammer den ersten Hilfsantrag zum Beschwerdeverfahren zu.
In T 714/20 (Ex-parte-Verfahren) ließ die Kammer den mit der Beschwerdebegründung eingereichten ersten Hilfsantrag zu, welcher dem der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Hauptantrag entsprach und eine zusätzliche Änderung enthielt, durch die ein Klarheitseinwand ausgeräumt werden sollte, der in dieser Entscheidung erhoben worden war. Für die Änderung wurde ein von der Prüfungsabteilung selbst bei der Auslegung des Anspruchs verwendeter Wortlaut gewählt. Daher erachtete die Kammer dies als eine angemessene Reaktion auf die Zurückweisungsgründe und ließ den Antrag zum Beschwerdeverfahren zu (Art. 12 (4) VOBK 2020).
Für weitere Beispiele, bei denen die Änderung als geeignet zur Behandlung der Fragestellungen, die zur angefochtenen Entscheidung geführt hatten, angesehen und zum Verfahren zugelassen wurde, siehe T 1617/20 (Änderung der Beschreibung) und T 3038/19 (Beschränkung auf ein bestimmtes Stoffgemisch).
Hingegen wurde die Eignung zur Behandlung der in erster Instanz aufgeworfenen Fragestellungen in folgenden Fällen verneint:
In T 1421/20 (Ex-parte-Verfahren) befand die Kammer, dass die mit den fraglichen Hilfsanträgen vorgenommenen Änderungen zwar möglicherweise den in der angefochtenen Entscheidung erhobenen Klarheitseinwand ausräumten, nicht jedoch einen weiteren Einwand, den die Prüfungsabteilung ebenfalls erhoben hatte. Folglich ließ sie die betreffenden Anträge nicht zum Verfahren zu.
In T 1897/20 (Ex-parte-Verfahren) war Anspruch 1 des mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hauptantrags durch die Weglassung bestimmter Merkmale geändert worden, so unter anderem eines Merkmals, das der Beschwerdeführer für aus dem einschlägigen Stand der Technik wohlbekannt und somit zur Abgrenzung des Anspruchs gegenüber dem Stand der Technik unnötig erachtet hatte. Die Kammer verwies darauf, dass die Weglassung von aus dem Stand der Technik bekannten Merkmalen üblicherweise ungeeignet ist, um Einwände betreffend die erfinderische Tätigkeit auszuräumen. Außerdem hätte ihrer Auffassung nach eine Zulassung des Antrags gegen den Grundsatz der Verfahrensökonomie verstoßen.
In T 726/20 entschied die Kammer, dass die Änderung in Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 prima facie nicht durch die Lehre der Patentanmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung gestützt war. In Ausübung ihres Ermessens nach Art. 12 (4) VOBK entschied sie daher, den Hilfsantrag 1 nicht zuzulassen.
(ii) Eignung einer neuen Verteidigungsstrategie oder stützender Beweismittel
In J 3/20 machte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor der Juristischen Beschwerdekammer erstmals den Grundsatz des Vertrauensschutzes geltend und gab an, dass er dem Inhalt einer Mitteilung in einem Parallelfall vertraut hätte. Für die Juristische Beschwerdekammer war nicht ersichtlich, warum der Beschwerdeführer die neue Verteidigung und die zugrunde liegenden Tatsachen erst so spät im Verfahren vorlegte und damit gegen Grundsätze der Verfahrensökonomie verstieß. Zudem schien der Einwand ungeeignet zur Behandlung der Fragestellungen, die zu der angefochtenen Entscheidung geführt hatten, da er einen völlig neuen Aspekt eingeführt hätte, auf den die Beurteilung und die Begründung der angefochtenen Entscheidung nicht gerichtet waren.
Ein Beispiel für einen Fall, in dem die Beschwerdekammer neue Beweismittel zur Stützung der Verteidigungsstrategie des Patentinhabers zugelassen hat, ist T 1720/20. In dieser Sache war die Einspruchsabteilung zu dem Ergebnis gelangt, dass die die Priorität begründende Anmeldung und die dem angefochtenen Patent zugrunde liegende PCT-Anmeldung von unterschiedlichen juristischen Personen eingereicht worden waren. Die Kammer ließ die Dokumente D14 und D15 (bibliografische Daten und Übersetzung) zu, da sie diese für geeignet zur Klärung der Identität des Anmelders hielt. Ein weiteres Beispiel ist T 415/20.