4.4.6 Ermessen nach Artikel 13 (1) VOBK 2020 – neue Tatsachen, Einwände, Argumente und Beweismittel
In T 154/16 stellte die Kammer fest, dass nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern eine Mitteilung der Kammer nach Art. 15 (1) VOBK 2007 der Vorbereitung der mündlichen Verhandlung dient und nicht als Aufforderung, weiteres Vorbringen einzureichen (mit Verweis auf Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Aufl. 2019, V.A.4.7.). Laut dem Beschwerdeführer (Einsprechenden) sollte die neue Argumentationslinie zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit, die sich auf ein weiteres Dokument stützte, die bereits im Verfahren befindliche Angriffslinie verstärken, um der vorläufigen Meinung der Kammer Rechnung zu tragen. Die Kammer sah aber hierin keine ausreichende Begründung, da weder der Stand des Verfahrens, noch eine mögliche Überraschung der anderen Partei, noch der Umstand berücksichtigt wurden, dass die mündliche Verhandlung bei Vorliegen eines bis dahin nicht diskutierten Sachverhalts vertagt und nicht mit einer endgültigen Entscheidung abgeschlossen werden könnte, was mit dem in Art. 15 (6) VOBK 2020 formulierten Zweck unvereinbar wäre. Die Zulassung dieser verspäteten und unerwarteten Angriffslinie ins Verfahren liefe sowohl dem Gebot der Verfahrensökonomie, nämlich dass in der Beschwerde der Vortrag der Beteiligten in einem sehr frühen Stadium abgeschlossen sein sollte, als auch dem Grundsatz der Fairness im Verfahren entgegen.
In der Sache T 102/16 war das Dokument D26 vom Patentinhaber in Reaktion auf die Mitteilung nach Art. 15 (1) VOBK 2007 eingereicht worden, um die vorläufige Meinung der Kammer zu widerlegen, dass der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag durch den Stand der Technik vorweggenommen worden sei. Nach Ansicht der Kammer legte der Patentinhaber jedoch keine überzeugenden Gründe vor, die die Einreichung dieses Dokuments in einem späten Stadium des Beschwerdeverfahrens rechtfertigen würden. Die Kammer stellte fest, dass sie sich in ihrer Mitteilung auf den Einwand der mangelnden Neuheit gestützt hatte, der zuvor vom Einsprechenden im Einspruchs- und Beschwerdeverfahren vorgebracht worden war und auf den sich die angefochtene Entscheidung stützte. Darüber hinaus war die Kammer der Ansicht, dass der Inhalt von D26 für die Entscheidung über Fragen der Neuheit und/oder der erfinderischen Tätigkeit nicht relevant sei. Aus diesen Gründen entschied die Kammer, D26 nicht zum Beschwerdeverfahren zuzulassen (Art. 13 (1) VOBK 2020 und Art. 13 (1) VOBK 2007, Art. 13(3) VOBK 2007).