1.7.2 Standards für die Prüfung offenbarter und nicht offenbarter Disclaimer
Die Große Beschwerdekammer stellte in G 1/03 und G 2/03 (ABl. 2004, 413 und 448) betreffend nicht offenbarte Disclaimer fest, dass eine Änderung eines Anspruchs durch die Aufnahme eines Disclaimers nicht schon deshalb nach Art. 123 (2) EPÜ 1973 zurückgewiesen werden kann, weil weder der Disclaimer noch der durch ihn aus dem beanspruchten Bereich ausgeschlossene Gegenstand aus der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung herleitbar ist. Sie war der Auffassung, dass die Zulässigkeit eines in der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung nicht offenbarten Disclaimers nach folgenden Kriterien zu beurteilen ist:
Ein Disclaimer kann zulässig sein, wenn er dazu dient:
- die Neuheit wiederherzustellen, indem er einen Anspruch gegenüber einem Stand der Technik nach Art. 54 (3) und (4) EPÜ 1973 abgrenzt;
- die Neuheit wiederherzustellen, indem er einen Anspruch gegenüber einer zufälligen Vorwegnahme nach Art. 54 (2) EPÜ 1973 abgrenzt; eine Vorwegnahme ist zufällig, wenn sie so unerheblich für die beanspruchte Erfindung ist und so weitab von ihr liegt, dass der Fachmann sie bei der Erfindung nicht berücksichtigt hätte; und
- einen Gegenstand auszuklammern, der nach den Art. 52 bis 57 EPÜ 1973 aus nichttechnischen Gründen vom Patentschutz ausgeschlossen ist.
Zusätzlich sollte ein Disclaimer nicht mehr ausschließen, als nötig ist, um die Neuheit wiederherzustellen oder einen Gegenstand auszuklammern, der aus nichttechnischen Gründen vom Patentschutz ausgeschlossen ist. Andererseits stellt ein Disclaimer, der für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit oder der ausreichenden Offenbarung relevant ist oder wird, eine nach Art. 123 (2) EPÜ 1973 unzulässige Erweiterung dar. Und ein Anspruch, der einen Disclaimer enthält, muss die Erfordernisse der Klarheit und Knappheit nach Art. 84 EPÜ 1973 erfüllen.
Die Große Beschwerdekammer hat in den Entscheidungen G 1/03 (und G 2/03) ausdrücklich angeführt, welche Beschwerdekammerentscheidungen aufgrund des von ihr für Disclaimer gesetzten Rechts nicht mehr zu befolgen seien. So erklärte die Große Beschwerdekammer, dass den vereinzelten Entscheidungen T 170/87 und T 313/86 nicht zu folgen sei; die Entscheidung T 323/97 wird vor dem Hintergrund des neu anzuwendenden Rechts ebenfalls kritisiert.