1.2. Anwendung der Auslegungsregeln
Overview
Dieser Abschnitt enthält weitere Beispiele und Argumente bezüglich der Anwendung der vorstehend insbesondere in diesem Kapitel unter III.H.1.1.2 dargelegten Auslegungsmethoden.
In den verbundenen Verfahren G 2/12 und G 2/13 (ABl. 2016, A27 und ABl. 2016, A28) musste der Begriff "im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen" in Art. 53 b) EPÜ gemäß den allgemeinen Auslegungsregeln ausgelegt werden. Die Große Beschwerdekammer stellte fest, dass nach der ständigen Rechtsprechung bei der Auslegung des EPÜ die in den Art. 31 und 32 des Wiener Übereinkommens enthaltenen Auslegungsgrundsätze anzuwenden sind. Die entsprechende Analyse erfolgte mittels einer methodischen Auslegung des Art. 53 b) EPÜ, und zwar in erster Linie in Bezug auf seinen Wortlaut und in zweiter Linie unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Absicht sowie der Aspekte einer systematischen und historischen Auslegung. Sie wandte insbesondere die verschiedenen methodischen Auslegungsprinzipien an, darunter die grammatische, die systematische und die teleologische Auslegung sowie ergänzende Auslegungsmittel, vor allem die vorbereitenden Arbeiten. Keines dieser Auslegungsprinzipien führte die Große Beschwerdekammer zu dem Schluss, dass sich der Begriff "im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen" über die Verfahren hinaus auch auf Erzeugnisse erstreckt, die durch solche Verfahren definiert oder hergestellt werden. Dieses Ergebnis fand sich bestätigt, als die vorbereitenden Arbeiten zum EPÜ als ergänzendes Auslegungsmittel herangezogen wurden.
In der Stellungnahme G 3/19 wurde das Prinzip der Auslegungsmethoden zwar nicht infrage gestellt, doch wurde darin die in G 2/12 getroffene Auslegung des Art. 53 b) EPÜ in Anbetracht der zwischenzeitlichen Rechtsentwicklung aufgegeben.
Auch jüngere Entscheidungen oder Stellungnahmen geben umfassend Aufschluss über die Entwicklungen bei den Regeln zur Auslegung des EPÜ und deren Anwendung. Dies ist der Fall bei der vorgenannten Stellungnahme G 3/19, in der die Auslegungsmethoden der Reihe nach erläutert werden. Auch die Entscheidung G 1/18 (ABl. 2020, A26) enthält umfangreiche Ausführungen, in denen die Regeln zur Auslegung des EPÜ zusammengefasst werden (Nr. III der Gründe) und die Anwendung dieser Regeln auf den Gegenstand der Vorlage dargelegt wird (insbes. Nrn. IV und X der Gründe). Siehe auch G 1/19 (Fußgängersimulation), G 4/19 (Doppelpatentierung), G 1/21 vom 16. Juli 2021 date: 2021-07-16 (ABl. 2022, A49) (Mündliche Verhandlungen per Videokonferenz).
- Sammlung 2023 “Abstracts of decisions”