7. Product-by-Process-Ansprüche
In T 248/85 (ABl. 1986, 261) wurde bestätigt, dass ein Erzeugnis durch die Verwendung verschiedener Parameter, z. B. seine Struktur oder sein Herstellungsverfahren, definiert werden kann, ihm aber die Tatsache, dass zu seiner Definition ein anderer Parameter verwendet wird, an sich noch keine Neuheit verleiht. Auch Art. 64 (2) EPÜ 1973 verleiht einem Anspruch, der als Product-by-Process-Anspruch formuliert ist, keine Neuheit, wenn das Erzeugnis an sich nicht neu ist, und berechtigt den europäischen Patentanmelder nicht, diese Ansprüche in sein Patent aufzunehmen, wenn sie die Anforderungen nach Art. 52 (1) EPÜ 1973 nicht erfüllen.
In T 219/83 (ABl. 1986, 211) stellte die Kammer fest, dass Product-by-Process-Ansprüche in einem absoluten, d. h. verfahrensunabhängigen Sinne interpretiert werden müssen. Wenn die Gegenstände neu sind, so sind sie nicht schon deswegen erfinderisch, weil ihr Herstellungsverfahren erfinderisch ist; vielmehr muss das beanspruchte Erzeugnis, um patentfähig zu sein, als solches eine gegenüber dem Stand der Technik nicht nahe liegende Lösung einer eigenen technischen Aufgabe sein.
Diese Kriterien wurden in einer ganzen Reihe weiterer Entscheidungen bestätigt und angewandt (s. z. B. T 251/85, T 563/89, T 493/90, T 664/90, T 223/96, T 59/97, T 748/98, T 620/99, T 1113/10).
In T 205/83 (ABl. 1985, 363) präzisiert die Kammer die Bedingungen für die Neuheit von Product-by-Process-Ansprüchen. Danach erlangt das polymere Erzeugnis eines bekannten chemischen Verfahrens Neuheit nicht automatisch durch verfahrenstechnische Abwandlung dieses Verfahrens. Ist ein solches Erzeugnis nicht durch strukturelle Merkmale, sondern nur durch seine Herstellungsweise definierbar, so bedarf es zur Neuheitsabgrenzung des Nachweises, dass die Abwandlung der Verfahrensparameter zu anderen Erzeugnissen führt. Hierzu reicht es aus, dass deutliche Unterschiede in den Eigenschaften der Erzeugnisse dargelegt werden. Bei diesem Nachweis haben solche Eigenschaften auszuscheiden, die nicht auf Stoffparameter des Erzeugnisses zurückgehen können. S. auch T 279/84, T 151/95, T 728/98, T 564/02, T 1247/03.
Ferner wurde in T 300/89 (ABl. 1991, 480) ausgeführt, dass mangelnde Neuheit dann vorliegt, wenn einerseits das Erzeugnis nicht strukturell definiert ist und andererseits nicht alle besonderen Bedingungen im Anspruch erwähnt werden, die notwendig sind, um zwangsläufig die Erzeugnisse zu erzielen, deren Neuheit, z. B. durch Vergleichsversuche, nachweisbar ist. Auch in T 552/91 (ABl. 1995, 100) verlangte die Kammer, dass alle zur eindeutigen Definition der beanspruchten Stoffe als zwangsläufige Verfahrensprodukte notwendigen Verfahrensparameter in den Anspruch aufzunehmen sind. Da chemische Reaktionen nur selten in einer einzigen Richtung abliefen und daher nur selten zu einheitlichen Stoffen führten, bedürfe es neben der Angabe der Ausgangsstoffe und Reaktionsbedingungen im allgemeinen auch der Angabe der Art und Weise der Aufarbeitung des Reaktionsgemischs zur Gewinnung der beanspruchten Stoffe. In T 956/04 wurde diese Rechtsprechung bestätigt: Die Kammer war der Auffassung, dass die beanspruchten, die Herstellung beschreibenden Merkmale ("obtainable-by features") ohne genaue Angabe der spezifischen Ausgangsstoffe und Reaktionsbedingungen die beanspruchten Katalysatoren nicht eindeutig als zwangsläufige Verfahrenserzeugnisse definierten.
In T 728/98 (ABl. 2001, 319) stellte die Kammer fest, dass die allgemeine Regel, wonach der Reinheitsgrad einer niedermolekularen chemischen Verbindung keine Neuheit begründen kann, auch im Falle eines Product-by-Process-Anspruchs gilt, bei dem sich der Reinheitsgrad unausweichlich aus dem im Anspruch genannten Herstellungsverfahren ergibt. Vorliegend war es dem Beschwerdeführer (Anmelder) nicht möglich, nachzuweisen, dass eine Ausnahmesituation vorlag, in der alle Versuche, durch konventionelle Reinigungsverfahren einen bestimmten Reinheitsgrad zu erhalten, gescheitert wären. S. auch Kapitel I.C.6.2.4. "Erreichen eines höheren Reinheitsgrades".
In T 803/01 verwies die Beschwerdekammer darauf, dass sich in T 205/83 (ABl. 1985, 363) kein wie auch immer geartetes Verbot finde, dem zufolge Ansprüche im Interesse der Klarheit keine Parameter enthalten dürften, die sich auf Verunreinigungen bezögen. Die sich auf die Reinheit der Polylactide beziehenden Parameter seien technische Merkmale im Sinne der R. 29 (1) EPÜ 1973, und dies sei ein relevantes Kriterium für die Beurteilung, inwieweit Reinheitsparameter unter dem Aspekt der Klarheit in einem Erzeugnisanspruch zulässig seien (G 2/88, ABl. 1990, 93).
In T 394/03 entschied die Kammer, dass eine mit einem Verfahren erreichte höhere Qualität eines Produkts im Allgemeinen kein strukturelles Merkmal in einem Product-by-Process-Anspruch ist, das Neuheit oder erfinderische Tätigkeit begründet. Im vorliegenden Fall wurde ein dekoriertes Keramikprodukt beansprucht, das sich von bekannten Erzeugnissen dieser Art nur durch die bessere Qualität unterschied, die durch das erfindungsgemäße Verfahren erreicht wurde.
In T 564/02 hatte sich die Kammer bei der Prüfung des Erfordernisses der Patentierbarkeit des Erzeugnisses selbst mit der Beweislast zu befassen. Der Beschwerdegegner (Einsprechende) hatte einen Einwand mangelnder Neuheit erhoben, der auf die Offenbarung in einem Beispiel aus dem Stand der Technik gestützt wurde. Die Kammer bemerkte, dass die Wirksamkeit dieses Einwands mit der Gültigkeit bestimmter Annahmen des Beschwerdegegners in Bezug auf Parameter des im Stand der Technik offenbarten Erzeugnisses stand und fiel. In solch einem Fall könne das Konzept der Abwägung der Wahrscheinlichkeiten auf die Beurteilung der Gültigkeit dieser Annahmen nicht angewandt werden. Vielmehr müsse ein strengeres Kriterium – das der absoluten Gewissheit nahekomme – angelegt werden. Mit anderen Worten, es sollte ein Grad von Gewissheit, der jenseits vernünftiger Zweifel liegt, erreicht werden.