D. Beschränkung/Widerruf
Das Beschränkungs- und Widerrufsverfahren gemäß Art. 105a EPÜ- Art. 105c EPÜ steht im Einspruchs- und Einspruchsbeschwerdeverfahren nicht zur Verfügung. Auf Antrag des Patentinhabers kann ein Patent aber auch während dieser Verfahren noch widerrufen werden. Art. 105a (2) EPÜ hindert weder den Patentinhaber daran, im Einspruchsverfahren einen Antrag auf Widerruf zu stellen, noch die Einspruchsabteilung daran, solche Anträge zu bearbeiten (T 2177/12).
Es ist geboten, das Verfahren aus Gründen der Rechtssicherheit, die eine Klärung der Schutzrechtssituation erfordert, so schnell wie möglich zu beenden (T 1651/14; s. auch T 1960/12, T 1832/16, T 1467/16, T 757/17). Da es keine Fassung des Patents gibt, auf deren Grundlage die Kammer die Beschwerde prüfen kann, hat sie nur die Möglichkeit, das Patent gemäß Art. 101 EPÜ, wenn auch aus anderen Gründen, zu widerrufen (T 1467/16, s. auch T 1960/12, T 1832/16, T 757/17).
Erklärt der Patentinhaber im Einspruchs- oder Beschwerdeverfahren, dass er der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung nicht zustimme und keine geänderte Fassung vorlegen werde, so ist das Patent zu widerrufen. Dieser Entscheidung liegt Art. 113 (2) EPÜ zugrunde, wonach das Patent nur in einer Fassung aufrechterhalten werden kann, die vom Patentinhaber gebilligt wurde. Liegt keine solche Fassung vor, ist eine Voraussetzung für die Aufrechterhaltung des Patents nicht gegeben (T 73/84, ABl. 1985, 241, gefolgt von zahlreichen weiteren Entscheidungen, s. z. B. die jüngsten Entscheidungen T 307/13, T 1536/14 und T 796/15).
Beantragt der Patentinhaber selbst den Widerruf des Patents, so ergeht die Widerrufsentscheidung ohne Sachprüfung auf Patentierbarkeit. Eine Prüfung, ob die in Art. 100 EPÜ genannten Gründe der Aufrechterhaltung des Patents entgegenstehen, ist ausgeschlossen, denn das Fehlen einer gültigen Fassung des Patents hat zur Folge, dass das Patent einer sachlichen Prüfung der vorgebrachten Patenthinderungsgründe entzogen ist (T 186/84, ABl. 1986, 79; s. auch T 157/85, T 1659/07, T 124/08, T 1287/08, T 1111/10, T 796/15, T 1651/14).
In T 237/86 (ABl. 1988, 261) merkte die Kammer an, dass ein unmittelbarer Antrag auf Widerruf genüge, wenn der Kammer in irgendeiner Form mitgeteilt wird, dass Beschwerdeführer und Beschwerdegegner beide den Widerruf des Patents wünschen. In T 459/88 (ABl. 1990, 425) stellte die Kammer fest, dass es, wenn im Verfahren vor dem EPA der Patentinhaber selbst den Widerruf seines Patents beantragt, wohl kaum einen triftigeren Grund für den Widerruf gebe, da die Öffentlichkeit kein Interesse daran haben könne, dass ein Patent gegen den Willen seines Inhabers aufrechterhalten wird. Das Patent wurde somit von der Kammer in Ausübung ihrer Befugnis nach Art. 111 (1) EPÜ 1973 widerrufen (s. auch die neueren Entscheidungen T 655/01, T 1187/05, T 1526/06, T 1610/07, T 1541/09).
Bei der Erklärung, das Patent zu widerrufen darf kein Zweifel daran bestehen, dass der Patentinhaber die Wirkungen des Widerrufs nach Art. 68 EPÜ 1973 (Art. 68 EPÜ), also den Wegfall der Wirkungen der europäischen Patentanmeldung und des darauf erteilten Patents von Anfang an anstrebt (T 186/84, T 347/90, T 386/01). Erklärt der Beschwerdegegner (Patentinhaber), dass das Patent "an" einem bestimmten Tag fallen gelassen worden sei, so kann eine solche Erklärung nicht als Antrag auf Widerruf des Patents gewertet werden, weil darin nicht gesagt wird, dass das Patent von Anfang an fallen gelassen worden ist. Die Rechtsprechung zu Widerrufsanträgen ist daher hier nicht anwendbar, und die Beschwerde muss sachlich geprüft werden (T 973/92).
In T 237/86 (ABl. 1988, 261) entschied die Kammer, die Erklärung "Wir verzichten hiermit auf das oben genannte Patent" komme einem Antrag auf Widerruf gleich, dem die Kammer gemäß Art. 111 (1) EPÜ 1973 stattgeben könne (s. auch T 347/90). In T 92/88 wurde die Formulierung "Das Patent erlischt hiermit in allen genannten Ländern" als Antrag auf Widerruf verstanden.
In einer Reihe von Fällen entschieden die Kammern, dass ein Antrag des Patentinhabers auf Rücknahme "der Anmeldung" einem Antrag auf Widerruf des Patents gleichkomme (T 264/84, T 415/87, T 68/90 und T 322/91). In T 393/15 erklärte die Kammer, dass dennoch der Grundsatz gelte, wonach die Erklärung eindeutig und zweifelfrei sein müsse; die Aussage "die Patentanmeldung wird zurückgenommen" war im vorliegenden Fall nicht eindeutig, da unter anderem das Schreiben weder die Patentnummer noch das Beschwerdeaktenzeichen erwähnte.
In T 646/08 nahm der Beschwerdeführer in einem Schreiben seine Beschwerde und gleichzeitig auch sein Einverständnis mit der Fassung des Patents zurück, die von der Einspruchsabteilung in ihrer Zwischenentscheidung aufrechterhalten worden war. Die Kammer entschied, dass das Schreiben keine eindeutige Erklärung des Patentinhabers dahin gehend enthalte, dass er den Widerruf des Patents mit allen Wirkungen gemäß Art. 68 EPÜ akzeptiere. Das Beschwerdeverfahren wurde beendet.
In T 2573/12 hatte der Inhaber des Streitpatents im Einspruchsverfahren den Wunsch geäußert, das Patent fallen zu lassen. Die Kammer war der Auffassung, dass der Wunsch, das Patent fallen zu lassen, nicht dasselbe ist wie ein klarer und eindeutiger Verzichtsantrag, der als Antrag auf Widerruf des Patents verstanden würde (s. T 237/86, ABl. 1988, 261).
Eine Reihe von Entscheidungen betrifft den Fall, dass die Einspruchsabteilung das Patent widerruft, der Patentinhaber Beschwerde einlegt, dann aber im Verlauf des Beschwerdeverfahrens selbst den Widerruf des Patents beantragt. In T 347/90 wies die Kammer die Beschwerde, ohne auf die Sachfragen einzugehen, zurück und bestätigte damit den in der ersten Instanz ausgesprochenen Widerruf des Patents. In T 18/92 dagegen interpretierte die Kammer den Antrag des Patentinhabers (Beschwerdeführers) auf Widerruf des Patents als Rücknahme der Beschwerde. Durch diese Rücknahme wurde die Widerrufsentscheidung der ersten Instanz wieder wirksam. In T 481/96 prüfte die Kammer die zwei Lösungen und schloss sich der Entscheidung T 18/92 an. In T 1244/08 bestätigte die Kammer die ständige Rechtsprechung der Beschwerdekammern (T 1003/01 und T 53/03), wonach eine Erklärung des Beschwerdeführers und Inhabers eines durch eine Einspruchsabteilung widerrufenen Patents, in der er klar und eindeutig angebe, dass er an der Fortsetzung des Beschwerdeverfahrens kein Interesse mehr habe, einer Erklärung über die Zurücknahme der Beschwerde gleichzusetzen sei. Die Zurücknahme habe zur Folge, dass das Beschwerdeverfahren sofort beendet werde, sodass die Widerrufsentscheidung der Einspruchsabteilung rechtskräftig werde. Jeder spätere Antrag, die Zurücknahme rückgängig zu machen und das Beschwerdeverfahren fortzusetzen, sei unzulässig.