7.3.4 Rechtsprechung zu mündlichen Verhandlungen nach G 1/21 und vor dem Ende der Pandemiemaßnahmen vor den Beschwerdekammern
Dieser Abschnitt wurde aktualisiert, um die Rechtsprechung und Gesetzänderungen bis 31. Dezember 2023 zu berücksichtigen. Die vorherige Version dieses Abschnitts finden Sie in "Rechtsprechung der Beschwerdekammern", 10. Auflage (PDF). |
In einigen Entscheidungen mussten die Kammern auf Behauptungen der Beteiligten zum Vorliegen bzw. Nichtvorliegen eines allgemeinen Notfalls eingehen, der die Möglichkeit der Beteiligten einschränkte, persönlich an einer mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Ausnahmsweise warfen weder Beteiligte diese Frage auf noch befasste sich die Kammer ausdrücklich mit dem Vorliegen eines allgemeinen Notfalls. Beispiele dieser Rechtsprechung sind nachstehend aufgeführt.
In T 541/17 bestätigte die Kammer, dass es im März 2022 in Deutschland weder Reisebeschränkungen noch Quarantäneauflagen gab, als die Kammer ihre Absicht mitteilte, die mündliche Verhandlung als Videokonferenz durchzuführen. Allerdings war zu dieser Zeit die Omicron-Variante von COVID-19 in Deutschland sehr stark auf dem Vormarsch. Die Erfahrung aus den beiden Vorjahren hatte gezeigt, dass Beschränkungen von den Gesundheitsämtern sehr kurzfristig wieder eingeführt werden konnten. Daher gab es im März 2022 gute Gründe für die Kammer, das Format der mündlichen Verhandlung vom 18. Mai 2022 auf Videokonferenz umzustellen, wie in Art. 15a (1) VOBK 2020 vorgesehen (dieselbe Begründung s. auch T 1296/17).
Zu den Einschränkungen oder Erschwernissen, die einen Beteiligten daran hindern, persönlich an einer mündlichen Verhandlung teilzunehmen, brachte der Beschwerdeführer in T 250/19 vor, die Pandemie sei in Deutschland seit November 2021 beendet, da der Ausnahmezustand nicht verlängert worden sei und nur noch Hygienemaßnahmen aufrechterhalten würden. Die Kammer teilte diese Auffassung nicht und verwies u. a. darauf, dass es Sache der Kammer sei, das Vorliegen einer Notlage zu beurteilen, auch wenn sie die behördlichen Erklärungen zur Kenntnis nehme. Es sei an Einschränkungen festgehalten worden, und zwar bis zu den für die vorliegende Sache relevanten Terminen. Schließlich zähle nicht nur die Situation in Deutschland; die Vertreter des Beschwerdegegners seien in Frankreich ansässig, was seinerzeit als "Hochrisikogebiet" galt.
In T 2341/16 beantragte der Beschwerdeführer unter Verweis auf die COVID-19-Infektionsraten im Vereinten Königreich und in München, die mündliche Verhandlung als Videokonferenz durchzuführen. In einer Mitteilung vom 11. April 2022 stellte die Kammer fest, dass es keinerlei offizielle Einschränkungen und Erschwernisse mehr gab, die den Beschwerdeführer daran hinderten, persönlich an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Die Kammer ließ sich daher nicht von den Argumenten des Beschwerdeführers überzeugen und hielt an ihrer Absicht fest, eine mündliche Präsenzverhandlung durchzuführen.
In T 2303/19 stimmte die Kammer dem Beschwerdegegner darin zu, dass es zum fraglichen Zeitpunkt (November/Dezember 2022) keine COVID-19-bedingten Reisebeschränkungen gab, die die Möglichkeit der Beteiligten einschränkten, persönlich an einer mündlichen Verhandlung in den Räumlichkeiten des EPA teilzunehmen, und dass mündliche Präsenzverhandlungen laut G 1/21 date: 2021-07-16 zu dieser Zeit das optimale Format waren (s. auch T 1198/17).
In T 1158/20 hielt die Kammer trotz gegenteiliger Behauptung des Beschwerdeführers fest, dass die COVID-19-Pandemie im November 2022 noch andauerte und dass es in den Räumlichkeiten der Kammern in Haar noch Einschränkungen gab. Dass keine Reisebeschränkungen mehr bestanden, sei kein klares Indiz dafür, dass mündliche Verhandlungen in Präsenz durchgeführt werden müssten. Der Beschwerdeführer argumentierte, dass die absolute Zahl der Infektionen in der Region München ebenso wie die Infektionsinzidenz zum Termin der mündlichen Verhandlung gering seien. Die Kammer vertrat die Auffassung, dass es nicht möglich sei, objektiv einen Schwellenwert für die Zahl der Infektionen (oder irgendeinen anderen Parameter) festzulegen, unterhalb dessen es akzeptabel wäre, die Beteiligten oder die Kammermitglieder dem Virus auszusetzen (s. auch T 758/20).
In der Sache T 1624/20 rügte der Beschwerdeführer das Format der mündlichen Verhandlung als Videokonferenz und brachte u. a. vor, dass der COVID-19-bedingte Notfall beendet sei, dass die Anberaumung einer Videokonferenz gegen G 1/21 date: 2021-07-16 verstoße und dass keine offizielle Erklärung einer Regierungsbehörde vorliege. Die Kammer erinnerte daran, dass es gemäß Nummer 50 der Entscheidungsgründe von G 1/21 date: 2021-07-16 dem Ermessen der Kammer anheimgestellt sei, das Vorliegen eines allgemeinen Notfalls zu beurteilen, der die Beteiligten an einer persönlichen Teilnahme hindere. Die Kammer hielt fest, dass die Inzidenzrate im Dezember 2022 in Deutschland und in Frankreich, dem Sitz der zugelassenen Vertreter, im Steigen begriffen war. Angesichts dieses Risikos habe eine allgemeine Notlage im Sinne der G 1/21 date: 2021-07-16 vorgelegen.
In T 1709/18 hatte der Einsprechende 1 beantragt, die mündliche Verhandlung per Videokonferenz abzuhalten. Als Begründung hatte er lediglich angegeben, dass der anwaltliche Vertreter seinen Sitz in Berlin habe. Die Kammer teilte dem Einsprechenden 1 mit, dass sie diese Begründung als unzureichend ansehe, um von der geplanten Durchführung der mündlichen Verhandlung in Präsenz abzuweichen. Die Frage, ob im vorliegenden Fall die Möglichkeit der Beteiligten durch einen allgemeinen Notfall einschränkt sein könnte, persönlich an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, hat weder der Einsprechende 1 angesprochen, noch hat die Kammer sie in ihrer Begründung thematisiert.