2.6. Beschwerden gegen die Entscheidungen der Prüfungskommission und des Prüfungssekretariats
Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern (s. insbesondere D 1/92, ABl. 1993, 357 und D 6/92, ABl. 1993, 361) sind Entscheidungen der Prüfungskommission grundsätzlich nur dahin gehend zu überprüfen, ob die VEP oder die bei ihrer Durchführung anzuwendenden Bestimmungen oder höherrangiges Recht verletzt sind. Daraus schloss die Beschwerdekammer, dass es nicht ihre Aufgabe sei, das Prüfungsverfahren sachlich zu überprüfen. Daher unterliegt das Werturteil der Prüfungskommission über die Zahl der Punkte, die eine Prüfungsarbeit verdient, nicht der Überprüfung durch die Beschwerdekammer. Nur wenn der Beschwerdeführer geltend machen kann, dass die angegriffene Entscheidung auf schweren und eindeutigen Fehlern beruht, kann dies von der Kammer berücksichtigt werden. Der behauptete Fehler muss so offensichtlich sein, dass er ohne Wiedereröffnung des gesamten Bewertungsverfahrens festgestellt werden kann, etwa, wenn Prüfer bei ihrer Beurteilung von einer technisch oder rechtlich falschen Beurteilungsgrundlage ausgegangen sein sollten, auf denen die angefochtene Entscheidung beruht. Alle anderen Behauptungen der Art, dass die Prüfungsarbeiten unrichtig bewertet worden seien, fallen nicht in die Kompetenz der Beschwerdekammer, da Werturteile grundsätzlich der gerichtlichen Kontrolle entzogen seien. Diese Schlussfolgerungen wurden in D 7/05 date: 2006-07-17 (ABl. 2007, 378) bestätigt. S. auch z. B. D 9/00, D 7/01, D 11/01, D 11/07, D 14/08, D 23/08, D 5/13, D 11/18 und D 11/19.
In D 6/98 wurde ergänzt, dass diese Bedingungen den für eine Berichtigung von Fehlern gemäß R. 89 EPÜ 1973 (jetzt R. 140 EPÜ) geltenden Voraussetzungen naheliegen, d. h. insbesondere bei Schreibfehlern oder Rechenfehlern in der Bewertung. Nach Art. 27 (1) VEP 1994 (s. Art. 24 (1) VEP) ist die Beschwerdekammer nicht befugt, das Bewertungsverfahren wiederzueröffnen (D 15/97). Die Beschwerdekammer ist nicht als zweite Instanz gedacht, die befugt wäre zu prüfen, ob die Benotung der Prüfungsarbeiten eines Bewerbers sachlich angezeigt oder richtig ist, und die sich auf diese Weise mit ihrer sachlichen Einschätzung über diejenige der Prüfungskommission hinwegsetzen könnte (D 20/96, D 6/02).
D 12/00 richtete sich eine Beschwerde gegen Unterschiede zwischen den von zwei Prüfern vergebenen Einzelbenotungen. Gestützt auf das Prinzip der einheitlichen Bewertung (Art. 16 VEP 1994; Art. 6 (2) c) VEP), verlangte der Beschwerdeführer, dass die höheren Punktezahlen angerechnet werden sollten. Die Kammer bestätigte ihre ständige Rechtsprechung (s. o. D 1/92, ABl. 1993, 357): Meinungsverschiedenheiten über die für eine bestimmte Antwort zu vergebende Punktezahl seien Ausdruck von Werturteilen, die sich grundsätzlich einer gerichtlichen Kontrolle entzögen. Dass zwei unabhängige Prüfer zu unterschiedlichen Benotungen gelangt seien, stelle für sich genommen keine Verletzung der geltenden Bestimmungen dar. Siehe auch die Fallzusammenfassungen in diesem Kapitel V.C.2.4.3.
In D 13/02 wurde ausgeführt, dass offensichtliche Fehler im oben genannten Sinne solche sind, die ohne wertende Neubetrachtung der Prüfungsarbeit feststellbar sind. Das wäre etwa dann der Fall, wenn ein und dieselbe Arbeit von den beiden Beurteilern stark unterschiedlich bewertet würde, weil allein der Punkteunterschied, unabhängig von dem die Bewertung widerspiegelnden Punkteniveau, auf eine Verletzung des Grundsatzes der einheitlichen Bewertung schließen lässt. Als offensichtlicher Fehler wäre auch etwa eine widersprüchlich oder unverständlich formulierte Prüfungsfrage anzusehen: Dies ließe sich ohne Rückgriff auf die Bewertung einer einzelnen Arbeit unmittelbar daran feststellen, welche inhaltliche Bedeutung der konkreten Formulierung der Prüfungsfrage nach allgemeinem Verständnis zukommt.
In D 17/05 wird unter Heranziehung der Entscheidung D 13/02 hervorgehoben, dass sich ein Fehler im Sinne der Entscheidung D 1/92 nicht aus einem Vergleich der Antwort des Bewerbers mit einer anderen Antwort ergeben kann. Zudem nimmt die Kammer Bezug auf die Feststellung, dass die Offenlegung von durch die Beurteiler gegebenenfalls verwendeten Bewertungsvorlagen weder für eine Entscheidung über eine Beschwerde erforderlich ist, noch dass nach ständiger Rechtsprechung sonst ein Anspruch hierauf besteht.
D 6/13 betraf einen angeblichen Verstoß der Prüfungskommission gegen R. 23 (3) ABVEP (bezüglich des Inhalts der Aufgabe A). Die Kammer stimmte zu, dass die Prüfungskommission implizit verpflichtet ist, die Prüfungsaufgaben und das zugehörige Bewertungsschema korrekt auszuarbeiten, wobei das Bewertungsschema eine angemessene Punktzahl für richtige Lösungen vorsehen und dieses "richtige" Bewertungsschema auch in jedem Fall "richtig" angewandt werden sollte. Die Disziplinarkammer kann aber nicht dafür zuständig sein, die Korrektheit des Bewertungsschemas oder einer individuellen Bewertung unter jedem möglichen Aspekt festzustellen, der die Bewertung eines Kandidaten eventuell negativ beeinflusst hat, da nach Art. 24 (1) VEP bestimmte Beschwerdegründe ausgeschlossen sind. Wenn also die Prüfungskommission ihre implizite Verpflichtung nicht "perfekt" erfüllt hat, weil potenziell richtige Lösungen keine oder nicht genügend Punkte erhalten haben, kann dies nicht gleich als Verstoß gegen R. 23 (3) ABVEP im Sinne des Art. 24 (1) VEP betrachtet, sondern muss nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls entschieden werden. Müsste die Disziplinarkammer die Prüfung der Beschwerde auf eine detaillierte technische Prüfung ausweiten, so würde die Beschränkung der möglichen Beschwerdegründe nach Art. 24 (1) VEP auf null reduziert, und es wären Werturteile erforderlich. S. auch z. B. D 10/19.
In D 14/17 und D 20/17 ging es um den Angriff gegen die erfinderische Tätigkeit in Aufgabe C mit Anlage 6 als dem nächstliegenden Stand der Technik, für den die Bewerber 0 von 20 Punkten erhalten hatten. Auf der Grundlage einer summarischen Prüfung und (mindestens) einer vom Beschwerdeführer eingereichten Abbildung stand für die Kammer fest, dass entgegen der Behauptung im Prüferbericht kein technisches Hindernis in Bezug auf die Anlage 6 vorlag, die in vertretbarer Weise als alternatives Ausgangsdokument zu betrachten war (s. auch z. B. den Parallelfall D 25/17). Nachdem die Kammer in D 14/17 zu dem Schluss gekommen war, dass besondere Gründe vorlagen, um den Fall nicht an die Prüfungskommission zurückzuverweisen (vgl. Art. 12 VOBKD; hier: prima facie kompetente und logische Antwort, geringe Punktezahl, äußerst kurze Zeitspanne zwischen mündlicher Verhandlung und nächstem EEP-Prüfungstermin), gab sie den Anträgen des Beschwerdeführers statt, für die Aufgabe C die Note "nicht bestanden mit Ausgleichmöglichkeit" zu vergeben und darauf gestützt das Bestehen der EEP festzustellen (Art. 14 (1) VEP). S. in dieser Hinsicht auch D 3/14 (im nächsten Abschnitt zusammengefasst) und D 5/14, die beide die EEP-Vorprüfung betrafen.
Die Beweislast für schwerwiegende und offensichtliche Fehler liegt zwangsläufig beim Beschwerdeführer, der sie geltend macht (D 46/07). In D 24/17 stellte die Beschwerdekammer fest, dass die Beschwerdeführerin in den meisten Punkten nicht ausführlich begründet hatte, inwiefern die Lösung im Prüferbericht falsch war, sondern es der Kammer überlassen hatte, von Amts wegen festzustellen, in welchem Umfang die offizielle Lösung und die Bewertung ihrer Prüfungsarbeit falsch bzw. möglicherweise falsch waren. Dies würde jedoch den Umfang einer Überprüfung durch die Kammer sprengen. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin war nur in Bezug auf die Fragen zur Klarheit in der Aufgabe B (teilweise) begründet. Da sie in ihren Antworten zumindest einige dieser Fragen offensichtlich behandelt hatte, war es unverständlich, dass hierfür überhaupt keine Punkte vergeben worden waren. Hier lag ein schwerer und eindeutiger Fehler vor, der Konsequenzen für die Bewertung hatte. Die Kammer verwies den Fall zur Neubewertung der Aufgabe B in Bezug auf diese Problematik zurück und ordnete die Erstattung von 25 % der Beschwerdegebühr an.