3.2.3 Entscheidungen mangels einer vom Anmelder vorgelegten oder gebilligten Fassung (Artikel 113 (2) EPÜ)
Nach Art. 113 (2) EPÜ hat sich das EPA bei der Prüfung der europäischen Patentanmeldung oder des europäischen Patents und bei den Entscheidungen darüber an die vom Anmelder oder Patentinhaber vorgelegte und gebilligte Fassung zu halten. S. auch Richtlinien C‑V, 4.9 – Stand März 2022).
In T 690/09 stellte die Kammer fest, dass die Anmeldung nach Art. 97 (2) EPÜ zurückzuweisen ist, wenn es keine sowohl vom Anmelder als auch von der Prüfungsabteilung gebilligte Fassung gibt (s. Art. 113 (2) EPÜ 1973, T 647/93, ABl. 1995, 132; T 946/96; T 237/96).
Die Kammer in T 1093/05 erklärte, dass die Erteilung eines Patents in einer Fassung, der der Anmelder nicht zugestimmt habe, gegen Art. 97 (2) a) und Art. 113 (2) EPÜ 1973 verstoße und somit ein wesentlicher Verfahrensmangel sei. Nach der ständigen Rechtsprechung sei die Prüfungsabteilung an ihre Entscheidung gebunden, wenn sie abschließend über die Anmeldung entschieden habe, und eine fehlerhafte Entscheidung könne nur im Rahmen einer zulässigen und begründeten Beschwerde aufgehoben werden (s. G 12/91, ABl. 1994, 285; G 4/91, ABl. 1993, 707; T 371/92, ABl. 1995, 324; T 1081/02; T 830/03). Die Beschwerdekammer konnte sich aufgrund dieser etablierten Rechtsprechung nicht der in der Entscheidung T 971/06 vertretenen Auffassung anschließen, wonach eine fehlerhafte Entscheidung als nichtig anzusehen sei und es deshalb keiner Beschwerde bedürfe.
In T 237/96 führte die Kammer aus, wenn die Prüfungsabteilung wie vorliegend den vom Anmelder vorgeschlagenen Änderungen gemäß R. 86 (3) EPÜ 1973 nicht zustimme und der Anmelder keine andere Fassung der Anmeldung billige, müsse die Anmeldung nach ständiger Praxis des EPA, die in ständiger Rechtsprechung bestätigt wurde, mit der Begründung zurückgewiesen werden, dass keine vom Anmelder gemäß Art. 113 (2) EPÜ 1973 gebilligte Fassung vorliege, für die ein Patent erteilt werden könne.
Was die Rechtsgrundlage für die Zurückweisung der Anmeldung mangels gebilligter Fassung betrifft, wird in einigen Entscheidungen ein anderer Ansatz verfolgt. In T 246/08 stellte die Kammer fest, dass das materiellrechtliche Erfordernis, dass in einer Anmeldung weiterhin Ansprüche vorhanden sein müssen, nicht in Art. 113 (2) EPÜ 1973, sondern in Art. 78 (1) c) EPÜ 1973 zu finden ist. Die Kammer wies darauf hin, dass die Anmeldung nicht nur für die Zuerkennung eines Anmeldetags, sondern auch für die Sachprüfung und die Patenterteilung dem Art. 78 (1) c) EPÜ 1973 genügen muss, während in Art. 113 (2) EPÜ 1973 nichts über die Rechtsfolgen des Fehlens einer von beiden Seiten gebilligten Fassung gesagt wird (s. auch T 2112/09).
In T 32/82 (ABl. 1984, 354) stellte die Kammer fest, dass sie gemäß Art. 113 (2) EPÜ 1973 über die europäische Patentanmeldung nur in der vom Anmelder vorgelegten oder gebilligten Fassung entscheiden dürfe. Daraus folge, dass sie nach dem EPÜ bei der Entscheidung über eine Beschwerde nicht befugt sei, die Erteilung eines europäischen Patents anzuordnen, dessen Patentansprüche sich inhaltlich oder in ihrer Abhängigkeit voneinander von den vom Anmelder eingereichten unterschieden. Auch wenn die Kammer dem Anmelder zu verstehen gegeben habe, dass ein abhängiger Anspruch möglicherweise gewährbar wäre, wenn er als unabhängiger Anspruch formuliert würde, sei sie nicht verpflichtet, von einer solchen Umformulierung auszugehen, wenn der Anmelder sie nicht ausdrücklich darum gebeten habe.
Im Verfahren T 647/93 (ABl. 1995, 132) stellte die Kammer fest, die Bestimmung des Art. 113 (2) EPÜ 1973, wonach sich das EPA bei der Prüfung der europäischen Patentanmeldung oder des europäischen Patents und bei den Entscheidungen darüber an die vom Anmelder oder Patentinhaber vorgelegte oder gebilligte Fassung zu halten hat, stelle einen wesentlichen Verfahrensgrundsatz dar und sei als Bestandteil des rechtlichen Gehörs von so grundlegender Bedeutung, dass jede – auch auf eine falsche Auslegung eines Antrags zurückzuführende – Verletzung dieses Grundsatzes prinzipiell als wesentlicher Verfahrensmangel zu werten sei. Ein solcher Verfahrensmangel liege grundsätzlich immer vor, wenn die Prüfungsabteilung wie im vorliegenden Fall von der Möglichkeit einer Abhilfe nach Art. 109 EPÜ 1973 keinen Gebrauch mache, nachdem sie in der Beschwerdebegründung auf den Fehler hingewiesen worden sei. S. auch T 121/95.