3. Materiellrechtliche Prüfung des Einspruchs
R. 76 (1) EPÜ (Art. 99 (1) EPÜ 1973) sieht unter anderem vor, dass der Einspruch "schriftlich einzureichen und zu begründen" ist. Gemäß R. 76 (2) c) EPÜ (R. 55 c) EPÜ 1973) muss die Einspruchsschrift eine Erklärung darüber enthalten, "in welchem Umfang gegen das europäische Patent Einspruch eingelegt" wird (s. auch dieses Kapitel IV.C.2.2.6).
In G 9/91 (ABl. 1993, 408) stellte die Große Beschwerdekammer klar, dass die Befugnis einer Einspruchsabteilung oder einer Beschwerdekammer, gemäß den Art. 101 und 102 EPÜ 1973 (nunmehr in Art. 101 EPÜ zusammengefasst) zu prüfen und zu entscheiden, ob ein europäisches Patent aufrechterhalten werden soll, vom Umfang abhängt, in dem in der Einspruchsschrift gegen das Patent Einspruch eingelegt wurde (R. 55 c) EPÜ 1973, R. 76 (2) c) EPÜ). Einschränkend gilt allerdings Folgendes: Auch wenn der Einspruch ausdrücklich nur gegen den Gegenstand eines unabhängigen Anspruchs eines europäischen Patents gerichtet ist, können doch auch Ansprüche, die von einem solchen unabhängigen Anspruch abhängen, auf ihre Patentierbarkeit hin geprüft werden, wenn der unabhängige Anspruch im Einspruchs- oder Beschwerdeverfahren vernichtet wird, sofern die Gültigkeit dieser abhängigen Ansprüche durch die bereits vorliegenden Informationsangaben prima facie in Frage gestellt wird (vgl. auch T 443/93, T 31/08; den in G 9/91 aufgestellten Grundsätzen wurde in der späteren Rechtsprechung gefolgt, z. B. in T 1019/92, T 1066/92, T 711/04, T 1350/09; s. auch T 525/96 und T 907/03 zu Ansprüchen gemäß einem Hilfsantrag).
Wurden in einem Antrag die mit dem Einspruch angefochtenen Ansprüche gestrichen, so sind dieser Antrag und seine Gegenstände zulässig, da sie nicht Gegenstand des Einspruchsverfahrens sind (s. z. B. T 2278/14).
Die Erklärung in der Einspruchsschrift dazu, in welchem Umfang gegen das europäische Patent Einspruch eingelegt wird, ist so auszulegen, wie der Adressat sie unter den gegebenen Umständen verstehen würde (T 376/90, ABl. 1994, 906; s. auch T 1/88, in der die Kammer bei der Auslegung nicht eindeutiger Verfahrenshandlungen auf den "objektiven Erklärungswert" abstellte"; für einen Fall, in dem das Begleitschreiben der Angabe in Formblatt 2300 widersprach, s. T 570/14).
In Anbetracht der Entscheidung G 9/91 hinterfragte die Kammer in T 376/90 die gängige Praxis, das Fehlen dieser Erklärung dahin gehend auszulegen, dass der Einsprechende gegen das Patent als Ganzes Einspruch einzulegen beabsichtigt. In T 764/06 schloss die Kammer hingegen aus dem Fehlen einer Erklärung nach R. 55 c) EPÜ 1973, wonach das Patent nur in gewissem Umfang angefochten wird, dass das Streitpatent als Ganzes angefochten wurde.
In T 938/03 hob die Kammer hervor, dass der Umfang, in dem gegen ein Patent Einspruch eingelegt wird, nicht vom zweiten Erfordernis nach R. 55 c) EPÜ 1973 (R. 76 (2) c) EPÜ) abhängt, nämlich der Angabe der Einspruchsgründe sowie der zur Begründung vorgebrachten Tatsachen, Beweismittel und Argumente. Der Einspruchsumfang wird vielmehr ausschließlich dadurch bestimmt, was implizit (s. T 376/90, ABl. 1994, 906) oder explizit angegeben (im vorliegenden Fall im Formblatt EPA 2300 angekreuzt) ist. Anders dagegen T 737/92, wonach Ansprüche tatsächlich angegriffen und nicht nur formell in der Einspruchsschrift erwähnt werden müssen).
- T 809/21
Catchword:
In a case where the patent is not opposed in its entirety, the opposition being directed at certain claims only, and where the Opposition Division decides that all of the proprietor's requests in relation to the opposed claims must fail, only the unopposed claims, which are not part of any opposition proceedings, are left standing. Hence, provided the requirements of Rule 82(1) EPC are met (either during oral proceedings or, in a written procedure, by means of a separate communication), the patent may be maintained on the basis of the unopposed claims, irrespective of whether the proprietor has filed an explicit request for this during the proceedings. Such a request would, in fact, be superfluous, since the unopposed claims have been granted and are not the subject of any opposition. The unopposed claims of the granted patent are therefore always available to the proprietor as the minimum basis on which the patent may be maintained (Reasons, point 5.2).
- Jahresbericht: Rechtsprechung 2022
- Zusammenfassungen der Entscheidungen in der Verfahrensprache