6.3. Heranziehen von Beschreibung und Zeichnungen zur Auslegung der Ansprüche
Dieser Abschnitt wurde aktualisiert, um die Rechtsprechung und Gesetzänderungen bis 31. Dezember 2023 zu berücksichtigen. Die vorherige Version dieses Abschnitts finden Sie in "Rechtsprechung der Beschwerdekammern", 10. Auflage (PDF). |
Die Kammern haben in einer Vielzahl von Entscheidungen (s. dieses Kapitel II.A.6.3.1) zur Auslegung der Ansprüche die Beschreibung und die Zeichnungen herangezogen, um festzustellen, ob die Ansprüche klar und knapp gefasst waren.
In T 456/91 befand die Kammer, dass die Deutlichkeit eines Anspruchs durch die bloße Breite eines darin enthaltenen Fachbegriffs nicht beeinträchtigt wird, sofern die Bedeutung eines solchen Begriffs für den Fachmann entweder von allein oder im Lichte der Beschreibung unmissverständlich ist. In der betreffenden Sache kamen extrem viele Stoffe für die Ausführung der Erfindung infrage. Betrachtete man die Ansprüche aber im Lichte der Beschreibung, so war klar, welche Peptide für die Erfindung geeignet waren.
Auch im Verfahren T 860/93 (ABl. 1995, 47) ging die Kammer davon aus, dass die Beschreibung herangezogen werden kann, um festzustellen, ob die Ansprüche klar sind. Die Kammer berief sich dabei auf das allgemeine Rechtsprinzip "Die beste Auslegung gewinnt man aus dem Vorangegangenen und dem Folgenden". Sie akzeptierte die Argumentation in T 454/89 (s. unten), dass die Beschreibung nur für die Bestimmung des Schutzbereichs, nicht jedoch zur Feststellung der Klarheit herangezogen werden dürfe, nur für den Fall von in sich widersprüchlichen Ansprüchen, aber nicht im Allgemeinen (s. auch T 884/93, T 287/97). In mehreren Entscheidungen wiesen die Kammern darauf hin, dass ein Patent sein eigenes Wörterbuch darstellen kann (s. dieses Kapitel II.A.6.3.3).
In einer Reihe von Entscheidungen wird jedoch auf die Grenzen der Heranziehung von Beschreibung und Zeichnungen bei der Prüfung des Klarheitserfordernisses hingewiesen.
In T 2/80 (ABl. 1981, 431) betonte die Kammer, dass ein Anspruch das von Art. 84 EPÜ 1973 vorgesehene Erfordernis der Klarheit nicht erfüllt, wenn er in sich nicht widerspruchsfrei ist. Die Patentansprüche sollen ohne Hinzuziehung der Beschreibung verstanden werden können (s. auch T 412/03, T 129/13). In T 454/89 bestätigte die Kammer diese Meinung und erklärte, Art. 84 EPÜ 1973 schreibe vor, dass die Ansprüche in sich deutlich sein müssten, wenn sie mit normalem Sachverstand betrachtet würden; dieser schließe die Kenntnis des Stands der Technik, nicht jedoch die der Beschreibung der Patentanmeldung oder des geänderten Patents entnommenen Informationen ein. Zwar sei es nach Art. 69 EPÜ 1973 zulässig, die Beschreibung zur Auslegung der Ansprüche heranzuziehen. Dies beziehe sich jedoch nur auf die Bestimmung des Schutzbereichs – insbesondere gegenüber Dritten – als eine der Wirkungen der Anmeldung oder des Patents und nicht auf die in Art. 84 EPÜ 1973 geforderte Angabe des Gegenstands, der durch den Anspruch geschützt werden solle. Im Prüfungs- oder Einspruchsverfahren könne sich daher der Anmelder oder Patentinhaber bei einer zur Klarstellung erforderlichen Änderung nicht hilfsweise auf Art. 69 EPÜ 1973 berufen. Diese Auffassung wurde in T 760/90 bestätigt.
In T 1129/97 (ABl. 2001, 273) stellte die Kammer fest, dass die bloße Tatsache, dass die genaue Bedeutung eines unklaren Begriffs ("niedriger Alkyl") in der Beschreibung ausdrücklich offenbart wird, nicht aber in den Ansprüchen, für sich genommen nicht ausreicht, damit die Ansprüche dem Erfordernis der Klarheit genügen. Das in Art. 84 EPÜ 1973 aufgestellte Erfordernis der Klarheit beziehe sich nämlich nur auf die Ansprüche. Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA müssten die Ansprüche daher in sich klar sein, ohne dass es für den Fachmann erforderlich sei, die Beschreibung des betreffenden Patents heranzuziehen. Zwar sei die Beschreibung gemäß Art. 69 (1) EPÜ 1973 zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen. In Art. 69 EPÜ 1973 gehe es jedoch nur insoweit um den Umfang des verliehenen Schutzes, als es diesen Schutzumfang insbesondere Dritten gegenüber zu bestimmen gelte, und nicht wie in Art. 84 EPÜ 1973 um die Bestimmung des Gegenstands, der mit einem Anspruch geschützt werden solle. Bestätigt in T 64/03, T 56/04, T 1265/13.
In T 49/99 stellte die Kammer fest, dass Deutlichkeit ein Erfordernis sei, dem die Ansprüche genügen müssten, und dass mangelnde Deutlichkeit im Wortlaut eines Anspruchs somit nicht dadurch wettgemacht werden könne, dass sich der technische Gegenstand, der in dem Anspruch eigentlich definiert werden sollte, dem Leser möglicherweise bei Hinzuziehung der Beschreibung und der Zeichnungen erschließe. S. auch T 623/13.
In T 56/04 betonte die Kammer, dass ein Anspruch, der ein unklares technisches Merkmal enthalte, verhindere, dass der darunter fallende Gegenstand zweifelsfrei erkannt werden könne. Dies gelte erst recht, wenn das unklare Merkmal den beanspruchten Gegenstand vom Stand der Technik abgrenzen solle. Die Kammer vertrat daher die Auffassung, dass ein im Anspruch verwendeter vager oder unklarer Begriff, dessen genaue Definition nur in der Beschreibung zu finden ist, nur in Ausnahmefällen zugelassen werden kann, um den beanspruchten Gegenstand vom Stand der Technik abzugrenzen. In entsprechender Anwendung von R. 29 (6) EPÜ 1973 (R. 43 (6) EPÜ) liegt ein solcher Ausnahmefall vor, wenn sich die genaue Definition des vagen oder unklaren Begriffs – aus welchen Gründen auch immer – nicht in den Anspruch aufnehmen lässt, aber für den Fachmann aus der Beschreibung eindeutig und unmittelbar ersichtlich ist. In dem T 56/04 zugrunde liegenden Fall verneinte die Kammer das Vorliegen eines Ausnahmefalles. Die in der Beschreibung offenbarte konkrete Angabe "etwa 1 mm" hätte statt des Begriffs "geringfügig kleiner als [...]" in den Anspruch selbst aufgenommen werden können. S. auch T 623/13.
Zur Frage, inwieweit bei der Charakterisierung eines Erzeugnisses durch Parameter aus dem Anspruch selbst hervorgehen muss, wie die Parameter zu bestimmen sind, s. dieses Kapitel II.A.3.5. In mehreren Entscheidungen wird betont, dass die Ansprüche in sich deutlich sein müssen, wenn sie mit normalem Sachverstand gelesen werden, jedoch ohne Kenntnis von Informationen, die der Beschreibung zu entnehmen sind (s. z. B. T 412/02 und T 908/04). In T 992/02 hielt es die Kammer jedoch angesichts des Erfordernisses der Knappheit nach Art. 84 EPÜ für gerechtfertigt, das Verfahren zur Messung des Parameters nicht in den Anspruch aufzunehmen, weil das Verfahren in der Beschreibung deutlich dargelegt sei und keinerlei Unklarheit bestehe.
In T 2968/19 betonte die Kammer, dass im Prüfungsverfahren – im Gegensatz zur Auslegung erteilter Patentansprüche – zunächst dem Grundsatz genüge zu tun sei, dass die fehlenden wesentlichen Merkmale in den Anspruch aufzunehmen sind und die Bedeutung der Merkmale für die Fachperson aus dem Wortlaut des Anspruchs allein klar hervorgehen sollte (vgl. G 1/04, Nr. 6.2 der Gründe). Der Beschwerdeführer brachte vor, ein Rückgriff auf die Beschreibung im Sinne eines eigenen Wörterbuchs könne zur Auslegung der Ansprüche eines Patents im Einspruchsverfahren zulässig sein, wenn Merkmale einem Einwand unter Art. 84 EPÜ nicht mehr zugänglich sind, jedoch trotzdem ausgelegt werden müssen. Der Kammer zufolge sind jedoch einem solchen Rückgriff bei der Anspruchsauslegung Grenzen gesetzt (vgl. "primacy of the claim" in T 1473/19, T 169/20), insbesondere in der Weise, dass im Anspruch fehlende (und nicht aus dem fachgerechten Verständnis der im Anspruch verwendeten Begrifflichkeiten implizit definierte) Merkmale nicht in den Anspruch hineinzulesen sind.
- T 56/21
Zusammenfassung
In T 56/21 the board addressed the question whether Art. 84 EPC provides a legal basis for (i) objecting to an inconsistency between what is disclosed as the invention in the description (and/or drawings, if any) and the subject-matter of the claims, the inconsistency being that the description (or any drawing) contains subject-matter which is not claimed, and (ii) requiring removal of this inconsistency by way of amendment of the description (hereinafter: "adaptation of the description").
As the appeal concerned ex parte proceedings, the board dealt with the interpretation of Art. 84 EPC for the purpose of its application in examination proceedings. The board analysed the function and relationship of the claims and the description, the relationship between the assessment of patentability and the determination of the extent of protection as well as the requirements of support by the description and clarity in Art. 84 EPC.
On adaptation of the description, the board came to the following conclusions:
(a) Art. 84 and R. 43 EPC set forth requirements for the claims, not for the description.
(b) It is the purpose of the assessment of Art. 84 EPC as part of the examination of patentability to arrive at a definition of the patentable subject-matter in terms of distinctive technical features distinguishing it from the prior art.
(c) Art. 69(1) EPC and the Protocol on the Interpretation of Art. 69 EPC are not concerned with the definition of the subject-matter according to Art. 84, first sentence, EPC, or the assessment of patentability in examination before the EPO but with the extent of protection in the context of infringement proceedings in the contracting states. Art. 69 EPC and its Protocol are hence not applicable in grant proceedings before the EPO.
(d) The requirements of Art. 84 EPC and R. 43 EPC are to be assessed separately and independently of considerations of extent of protection when examining a patent application.
(e) In examination, future legal certainty is best served by a strict definitional approach which ensures that allowable claims per se provide an unambiguous definition of the subject-matter meeting the requirements for patentability.
(f) Adapting the description to match the more limited subject-matter claimed does not improve legal certainty but reduces the reservoir of technical information in the granted patent. This may have unwarranted consequences in post-grant proceedings and may encroach on the competence of national courts and legislators.
(g) R. 48 EPC is not concerned with the adaptation of the description, but with the avoidance of expressions which are contrary to public morality or public order, or certain disparaging or irrelevant statements in the publication of an application.
The board held that in examination of a patent application, neither Art. 84 nor R. 42, 43 and 48 EPC provide a legal basis for requiring that the description be adapted to match allowable claims of more limited subject-matter. Within the limits of Art. 123 EPC, an applicant may, however, amend the description of its own volition.
In the case at hand the description included a passage entitled "SPECIFIC EMBODIMENTS", which contained claim-like clauses. Those clauses included subject-matter which was not claimed. The board set aside the (refusal) decision under appeal and the case was remitted to the examining division with the order to grant a patent based on the main request on file.
- T 1152/21
Zusammenfassung
In T 1152/21 the board concluded that claim 1 of auxiliary requests 9b and 10a did not meet the requirements of Art. 84 EPC.
Claim 1 of auxiliary request 9b included the term "cooling to an appropriate temperature". The board found that the skilled person could not assess whether a particular temperature was an "appropriate temperature", since the wording of the claim did not allow them to determine the conditions under which a temperature was an "appropriate temperature". Therefore, the claim was not clear.
The patent proprietor (appellant) had submitted that the skilled person was very familiar with heating and cooling steps, which were inherent to any (re)crystallisation process. It was a routine task for the skilled person to determine said appropriate temperature by reasonable trial-and-error experiments. Hence, the feature "appropriate temperature" was a functional feature related to a process step which could easily be performed in order to obtain the desired result. The board did not agree. It held that the patent proprietor's submission was relevant for sufficiency of disclosure rather than for the clarity of the claim. The relevant issue was what was covered by claim 1 of auxiliary request 9b, not whether the skilled person could reproduce the claimed method.
Auxiliary request 10a included in claim 1 the following terms: "heating to about 70°C", "heating at about 70°C", "heating the organic layer to about 120°C", "cooling to about 80°C", "maintaining the mixture at about 80°C for about 3 hours" and "gradually cooling to about 10°C".
The board noted that the term "about" in the context of said claim was associated with a specific temperature or a specific time. It could be that the term "about" was intended to cover measurement errors. However, measurement errors were covered for any value of any technical parameter to be measured and given in any claim (without the need for the term "about") since patents were in the field of technology, not mathematics, and a value could only be as precise as it could be measured according to the general technological convention. Thus, following this interpretation, the term "about" was superfluous and claim 1 was not concise, contrary to what was required by Art. 84 EPC. Alternatively, the term "about" could be intended to denote a range broader than the measurement error range. Following this second interpretation, it could not be determined how broad the range could be in claim 1 and what the exact limits of this range were. In this case, the term "about" in said claim was not clear, again contrary to what was required by Art. 84 EPC.
The patent proprietor had submitted that the term "about" was clear in light of the description of the patent since paragraph [0020] gave a clear definition of the term. According to the board, the claims have to be clear as such, i.e. without taking the description into account to interpret any unclear term. Even if it were accepted that the description could be consulted in the context of Art. 84 EPC, paragraph [0020] of the patent read as follows: "[...], the term "about" means within a statistically meaningful range of a value, such as a stated concentration range, time frame, molecular weight, particle size, temperature or pH. Such a range can be within an order of magnitude, typically within 20%, more typically within 10%, and even more typically within 5% of the indicated value or range". In the board's view, the term "statistically meaningful range" did not clearly define a range and for that reason was unclear. Even if it were accepted that, as submitted by the patent proprietor, the term "statistically meaningful range" was specified by relative variations in percent, said term would still be unclear since the following sentence contained various different percentages ("typically within 20%, more typically within 10%, and even more typically within 5% of the indicated value or range"). Contrary to the patent proprietor's submission that the skilled person would choose the broadest range, there was no teaching in this following sentence to choose the percentage within 20% of the indicated value, in view of the lower preference of the term "typically" compared with the two other terms "more typically" and "even more typically".
The patent proprietor further submitted that the term "about" was to be considered clear in light of the Guidelines F-IV, 4.7.1 – March 2021 version. The board pointed out that this chapter related to the interpretation of terms such as "about", not to the assessment of the clarity of such terms. Thus, the board found that the patent proprietor's submission was not convincing.