4.5.6 Einreichung neuer Anträge – außergewöhnliche Umstände verneint
In T 752/16 basierte die in einer zweiten Mitteilung nach Art. 15 (1) VOBK 2020 geäußerte, revidierte vorläufige Meinung der Kammer auf bereits in der Beschwerdebegründung des Beschwerdeführers genannten Einwänden und Argumentationslinien. Nach Ansicht der Kammer ist es im Hinblick auf Art. 13 (2) VOBK 2020 unerheblich, ob die in der Mitteilung nach Art. 15 (1) VOBK 2020 geäußerte vorläufige Meinung von einer vorherigen Stellungnahme oder der angefochtenen Entscheidung abweicht. Mit einer für die Beteiligten ungünstigen vorläufigen Meinung könne prinzipiell jederzeit im Verfahren vor den Beschwerdekammern vor Verkündung der Entscheidung gerechnet werden. In diesem Zusammenhang rief die Kammer in Erinnerung, dass die Mitteilung einer vorläufigen Meinung nach Art. 15 (1) VOBK 2020 primär den Rahmen der mündlichen Verhandlung absteckt und eine die effiziente Vorbereitung der Beteiligten auf diese Verhandlung erleichternde Verfahrensmaßnahme darstellt, nicht hingegen eine "Einladung" zu weiteren Änderungen (siehe z. B. T 1459/11). Ein Patentinhaber könne nicht so lange Änderungen in Reaktion auf die vorgebrachten Einwände eines Einsprechenden zurückhalten, bis er sich mit einer für ihn negativen vorläufigen Meinung einer Beschwerdekammer konfrontiert sieht bzw. den Eindruck gewinnt, dass die Kammer nicht seiner Ansicht und Argumentation folgt (siehe z. B. T 136/16, T 2072/16).
Auch in T 995/18 stellte die Kammer fest, dass es im Hinblick auf Art. 13 (2) VOBK 2020 unerheblich ist, ob sie während der mündlichen Verhandlung von ihrer in der Mitteilung nach Art. 15 (1) VOBK 2020 dargelegten vorläufigen Meinung abweicht. Im Beschwerdeverfahren hat jeder Beteiligter seinen Fall am Anfang des Verfahrens zu präsentieren und dabei ggfs. umgehend auf den Vortrag der Gegenseite zu reagieren und nicht erst dann, wenn er sich mit einer negativen Meinung einer Beschwerdekammer konfrontiert sieht. Die Änderung einer ausdrücklich als vorläufig bezeichneten Meinung infolge der mündlichen Diskussion von Argumenten, die alle aus dem schriftlichen Verfahren bereits bekannt waren, kann keine Rechtfertigung im Sinne des Art. 13 (2) VOBK 2020 bieten. Den in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrag ließ die Kammer jedoch zu, da nach ihrer Auffassung keine Änderung im Sinne des Art. 13 (2) VOBK 2020 vorlag (siehe oben Kapitel V.A.4.2.2 d)(i)).
- Jahresbericht: Rechtsprechung 2022
- Zusammenfassungen der Entscheidungen in der Verfahrensprache