4.4. Chirurgische Verfahren
Die Große Beschwerdekammer war in G 1/07 nicht mit der Praxis des EPA, den chirurgischen Charakter von Eingriffen breit auszulegen, einverstanden.
Ein engeres Verständnis von "chirurgischer Behandlung" war vonnöten. Die Definition des Begriffs "chirurgische Behandlung" muss die Arten von Eingriffen abdecken, die die Kerntätigkeit des Arztberufs ausmachen, d. h. Eingriffe, für die der Berufsstand der Ärzte speziell ausgebildet wird und für die Ärzte besondere Verantwortung übernehmen. Eine solche engere Auslegung schließt unkritische Verfahren aus, die nur einen minimalen Eingriff und kein wesentliches Gesundheitsrisiko umfassen.
Die Grenzen eines enger ausgelegten Konzepts der "chirurgischen Behandlung" müssen die erstinstanzlichen Organe und die Beschwerdekammern unter Berücksichtigung der technischen Realität des jeweiligen Einzelfalls abstecken.
Das erforderliche medizinische Fachwissen und das jeweilige Gesundheitsrisiko sind möglicherweise nicht die einzigen Kriterien, die zur Beantwortung der Frage herangezogen werden können, ob ein beanspruchtes Verfahren tatsächlich ein "chirurgisches Verfahren" im Sinne des Art. 53 c) EPÜ ist. Was unter "chirurgisch" im medizinischen Sinne zu verstehen ist, ist offenbar weitgehend eine Frage der Konvention. So muss ein chirurgischer Eingriff nicht notwendigerweise invasiv sein oder Gewebe durchdringen (T 5/04). Wie schon in der Entscheidung T 182/90 erwähnt, kann der Begriff "chirurgisch" im Laufe der Zeit und angesichts neuer technischer Entwicklungen durchaus einen Bedeutungswandel erfahren.
In G 1/07 entschied die Große Kammer, dass ein beanspruchtes bildgebendes Verfahren als ein Verfahren zur chirurgischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers nach Art. 53 c) EPÜ vom Patentschutz auszuschließen ist, wenn bei seiner Durchführung die Erhaltung des Lebens und der Gesundheit des Körpers von Bedeutung ist und wenn es einen invasiven Schritt aufweist oder umfasst, der einen erheblichen physischen Eingriff am Körper darstellt, dessen Durchführung medizinische Fachkenntnisse erfordert und der, selbst wenn er mit der erforderlichen professionellen Sorgfalt und Kompetenz ausgeführt wird, mit einem wesentlichen Gesundheitsrisiko verbunden ist.