2.4. Ausarbeitung, Bewertung und Benotung
Die Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten hat sich wiederholt auf den Grundsatz der gerechten Bewertung berufen. In D 7/05 date: 2006-07-17 (ABl. 2007, 378) wies die Beschwerdekammer darauf hin, dass unter Einzelheiten zur Notengebung der Aufgabe D eine hinreichende Unterteilung der möglichen Maximalpunktzahl und der für den Bewerber vergebenen Gesamtpunktzahl in Unterpunkte zu verstehen sind, sowie die Angabe, für welche Sachverhaltskomplexe bzw. rechtliche Fragestellungen diese Unterpunkte vergeben wurden. Bei der Erstellung von Bewertungsvorlagen durch die Prüfungsorgane ist eine Abwägung erforderlich zwischen dem Zweck, eine gleichmäßige Bewertung der Bewerber zu gewährleisten (Art. 16 VEP 1994), und andererseits der Notwendigkeit, auch eine gerechte Bewertung von vom Schema abweichenden, aber dennoch zumindest vertretbaren und kompetent begründeten Antworten zu ermöglichen. Die Bewertungsvorlagen müssen deshalb gewisse Spielräume lassen und – lediglich – hinreichend detailliert sein, um als Einzelheiten zur Notengebung im Sinne von R. 6 (1) ABVEP 1994 (vgl. R. 4 (1) ABVEP) den Bewerbern anhand der veröffentlichten oder zugänglich gemachten Texte die Nachprüfung zu erlauben, ob bei der Bewertung ihrer Arbeiten gegen Bewertungsgrundsätze verstoßen wurde, deren Einhaltung von der Kammer überprüft werden kann. S. auch dieses Kapitel V.C.2.5. und z. B. D 11/07, D 23/08, D 8/12 und D 13/17.
D 6/07 und D 7/07 waren zwei Fälle von einer Anzahl von Beschwerden gegen die Bewertung von Aufgabe C. Viele Bewerber hatten für den Angriff auf die Ansprüche ein Dokument zugrunde gelegt, das der Prüfungsausschuss nicht für den nächsten Stand der Technik hielt, und hatten dafür null Punkte erhalten. Die Prüfungskommission war der Auffassung, dass in dieser Situation die korrekte Formulierung des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes gemäß langer und bekannter Praxis honoriert werden müsse. Angesichts der späten Durchführung des Verfahrens und der Unmöglichkeit, sämtliche Aufgaben neu zu bewerten, entschied sie, dass es die fairste Lösung sei, ausnahmsweise an alle Bewerber, die die Aufgabe bearbeitet hatten, zehn zusätzliche Punkte (d. h. die höchstmögliche Punktzahl) zu vergeben. Die Beschwerdekammer stellte zunächst fest, dass die Vergabe von null Punkten durch den Prüfungsausschuss gegen die Erfordernisse der R. 4 (2) und (3) ABVEP 1994 verstoße: Nach dem Kriterium der "beruflichen Eignung" dürften die Prüfer bei der Benotung der einzelnen Teile der Lösungsvorschläge eines Bewerbers deren Wert im Zusammenhang mit der ganzen Arbeit nicht außer Acht lassen (D 3/00, ABl. 2003, 365) und müssten das Erfordernis beachten, auch diejenigen Antworten gerecht zu bewerten, die zwar nicht der Bewertungsvorlage entsprechen, aber dennoch in sich schlüssig und angemessen begründet sind (D 7/05 date: 2006-07-17, ABl. 2007, 378). Die Kammer stellte außerdem fest, dass es durch Art. 7 (3) VEP 1994 der Prüfungskommission zugewiesen ist, die Noten "bestanden", "nicht bestanden" oder "Nichtbestehen mit Ausgleichsmöglichkeit" zu vergeben und damit formell über das Bestehen der Prüfung insgesamt zu entscheiden. Sie sei nicht befugt, die vorausgehende, individuelle Bewertung der einzelnen Arbeiten unter Vergabe von Einzelpunkten auf einer Skala von null bis 100 vorzunehmen. Daher habe sie mit der Änderung der vom Prüfungsausschuss (gemäß Art. 8 b) VEP 1994 und R. 4 (1) ABVEP 1994) vergebenen Punkte durch die pauschale Gutschrift von zehn zusätzlichen Punkten pro Arbeit ihre Befugnisse überschritten. Diese pauschale Punktevergabe ohne Berücksichtigung des Kriteriums der "beruflichen Eignung" nach R. 4 ABVEP 1994 für einzelne Prüfungsaufgaben verstoße gegen den Grundsatz der Objektivität sowie gegen Art. 8 b) VEP 1994 und R. 4 ABVEP 1994. Daher ordnete die Beschwerdekammer eine Neubewertung der Aufgabe C aller Beschwerdeführer in Übereinstimmung mit R. 4 ABVEP 1994 an, wobei die bereits vergebenen zehn Zusatzpunkte den Beschwerdeführern erhalten bleiben müssten.
Um den vom Bewerber gewählten nächstliegenden Stand der Technik, der nicht mit dem vom Prüfungsausschuss gewählten übereinstimmt, ging es auch in D 14/17, D 20/17 und D 25/17. Unter Verweis auf D 7/05 date: 2006-07-17 (ABl. 2007, 378) und D 12/82 (ABl. 1983, 233) hob die Kammer erneut hervor, dass die Prüfer verpflichtet sind, eine gerechte Bewertung zu ermöglichen, deren Grundlage das Kriterium der praktischen Eignung nach Art. 1 (1) VEP ist.
In D 13/17 hob die Beschwerdekammer die besondere Struktur der Prüfungsaufgabe A hervor, nämlich dass diese auf einem einzigen Sachverhalt beruht. Dies bedeutet, dass eine falsche Beantwortung eines Elements dieser Prüfungsaufgabe höchstwahrscheinlich die falsche Beantwortung der übrigen Elemente der Prüfungsaufgabe nach sich zieht. Die Struktur dieser Prüfungsaufgabe ist bei dem Aufstellen eines Bewertungssystems zu berücksichtigen, wobei die einschlägigen gesetzlichen Vorschriften nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Insbesondere ist gemäß R. 6 (1) ABVEP jede Prüfungsarbeit unter Zugrundelegung einer Punkteskala von null bis 100 zu bewerten. Von einem Punktabzug ist nicht die Rede. Es scheint wohl viel dafür zu sprechen, dass bei der Bewertung zunächst von 0 Punkten ausgegangen werden sollte und dann für die jeweils richtige Antwort oder Teilantwort in der Prüfungsarbeit Punkte vergeben und addiert werden. Ein Bewertungssystem, bei dem es zu Punktabzügen kommen kann, die insgesamt weit höher liegen als die maximal erreichbaren Punkte, hielt die Beschwerdekammer insbesondere wegen der Struktur der Prüfungsaufgabe A grundsätzlich für nicht vertretbar, wenn es um die von der Rechtsprechung geforderte faire Bewertung einer Prüfungsarbeit geht. Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn die vorgesehenen Punktabzüge nicht kumulativ vorgenommen werden, sondern unterschiedliche und sich gegenseitig ausschließende falsche bzw. unvollständige Antwortmöglichkeiten betreffen. Bezüglich einer möglichen "Doppelbestrafung" führte die Beschwerdekammer aus, dass es aufgrund der Struktur der Prüfungsaufgabe A dazu kommen kann, dass eine falsche Antwort zu einem Element in einem Teil der Prüfungsaufgabe A sich auch auf die Beantwortung eines anderen Teils der Prüfungsaufgabe auswirkt und dass es damit für ein und denselben Fehler zweifach zu einem Verlust von zu erzielenden Punkten kommen kann. Nach Ansicht der Beschwerdekammer genügt ein derartiges Vorgehen nicht den von der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen an eine faire Bewertung.