2.6. Rechtliches Gehör in der mündlichen Verhandlung
In T 248/92 hatte die Prüfungsabteilung ihre Entscheidung auf in der mündlichen Verhandlung erstmals vorgebrachte Argumente gestützt. Die Kammer vertrat die Auffassung, dass die Entscheidung der Prüfungsabteilung nicht gegen Art. 113 (1) EPÜ verstoße. Die mündliche Verhandlung diene unter anderem dem Zweck, alle entscheidungserheblichen offenen Fragen soweit wie möglich zu klären. Allerdings müsse an ihrem Ende nicht unbedingt sofort eine Entscheidung getroffen werden. Wenn der Beschwerdeführer Bedenkzeit brauchte, hätte er daher eine Vertagung der mündlichen Verhandlung oder die schriftliche Fortsetzung des Verfahrens beantragen können, um die neu eingeführten Argumente sorgfältig prüfen zu können, die offensichtlich für die Entscheidung ausschlaggebend waren.
In T 623/12 hatte die Einspruchsabteilung aufgrund eines vom Einsprechenden erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Arguments festgestellt, dass mehrere Hilfsanträge gegen Art. 123 (2) EPÜ verstießen. Die Einspruchsabteilung hatte dem Patentinhaber nur einmal Gelegenheit zur Einreichung eines neuen Anspruchs auf der Grundlage eines der früheren Hilfsanträge gegeben und ihn gewarnt, dass andere Anträge weitere Mängel nach Art. 123 (2) EPÜ aufweisen könnten. Sie hatte dann entschieden, dass auch der neue Hilfsantrag gegen Art. 123 (2) EPÜ verstieß. Nach Auffassung der Kammer war die Warnung der Einspruchsabteilung keine Grundlage für eine fundierte Entscheidung des Patentinhabers, weil weder die Einwände noch die davon betroffenen Anträge spezifiziert wurden. Durch diese Handlungsweise habe die Einspruchsabteilung nicht ihr Ermessen hinsichtlich der Zulässigkeit des verspäteten Antrags des Patentinhabers ausgeübt, sondern willkürlich entschieden, den Antrag nicht zuzulassen. Diese willkürliche Entscheidung beraubte den Patentinhaber einer angemessenen Möglichkeit, sich zur Zulässigkeit seines weiteren Antrags zu äußern und auf die Einwände der Gegenpartei zu antworten.
In T 1014/10 wies der Beschwerdeführer (Patentinhaber) darauf hin, dass er im Einspruchsverfahren keine Gelegenheit erhalten habe, sich mit dem Vorbringen des Einsprechenden auseinanderzusetzen, weil dieses erst am Tag der mündlichen Verhandlung in seinem Büro eingegangen sei. Die Kammer stellte fest, dass die Beteiligten – und die Kammer – verpflichtet seien, sich in den Tagen vor der mündlichen Verhandlung in der elektronischen Akte zu vergewissern, dass keine Vorbringen hinzugefügt worden sind. Außerdem hätte der Patentinhaber eine Unterbrechung der mündlichen Verhandlung beantragen können, um dessen Inhalt zu prüfen, bzw. hätte sogar beantragen können, das Vorbringen nicht zum Einspruchsverfahren zuzulassen. Wie der Niederschrift zu entnehmen sei, habe der Patentinhaber von diesen Verfahrensoptionen keinen Gebrauch gemacht. Unter diesen Umständen sei das verspätete Vorbringen, das zudem keine neuen Tatsachen enthielt, nicht anders zu behandeln als neue Argumente, die in der mündlichen Verhandlung ohnehin hätten vorgebracht und erörtert werden können. Die Kammer vermochte keine Verletzung des Art. 113 EPÜ zu erkennen.