2.6.4 Einführung von neuem Vorbringen
Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern (s. z. B. T 389/95, T 1063/98, T 1029/05, T 1915/09, T 1314/12) ist eine Beschwerde, die sich auf einen bereits im Einspruchsverfahren geltend gemachten Einspruchsgrund stützt, sich also im selben rechtlichen Rahmen bewegt, auch wenn ihr ein ganz neuer faktischer Rahmen zugrunde liegt, nicht ipso facto unzulässig. Dies bedeutet aber nicht unbedingt, dass die Kammer die neuen, erst im Beschwerdeverfahren vorgelegten Beweismittel nicht unberücksichtigt lassen kann.
In T 389/95 wurde wegen bereits existierender Einspruchsgründe Beschwerde erhoben, aber diese einzig und allein auf neue, in der Beschwerdebegründung erstmals vorgebrachte Beweismittel gestützt. Die Kammer hielt die Beschwerde für zulässig, da die objektive Beurteilung des neu vorgebrachten Tatsachenrahmens feststehender Bestandteil der materiellrechtlichen Prüfung der Beschwerde ist. Nach Ansicht der Kammer folgt aus G 10/91, wonach im Beschwerdeverfahren mit Zustimmung des Patentinhabers sogar neue Einspruchsgründe zugelassen werden können, dass eine Beschwerde, die sich ausschließlich auf solche Gründe stützt, nicht ipso facto unzulässig ist. Daraus folgt, dass eine Beschwerde, die auf der gleichen rechtlichen Grundlage beruht, auch wenn sie völlig neue Sachverhalte einführt, ebenfalls zulässig sein kann. S. auch T 932/99.
In T 611/90 (ABl. 1993, 50) entwickelte der Einsprechende im Rahmen seiner Beschwerde gegen die Feststellung der Einspruchsabteilung, das Patent sei neu und erfinderisch, ein völlig neues Vorbringen zu fehlender Neuheit. Desgleichen wurde die Beschwerde in der Sache T 938/91 für zulässig erachtet, wo der Einsprechende (Beschwerdeführer) eine angebliche Vorbenutzung und eine Entgegenhaltung neu eingeführt hatte; der Beschwerdeführer hatte der Kammer damit zwar einen ganz neuen Sachverhalt unterbreitet, doch fiel die neue Begründung noch unter denselben Einspruchsgrund.
Im Anschluss an T 611/90 stellte die Kammer in T 252/95 fest, dass eine Begründung auch dann als ausreichend angesehen werden kann, wenn ein neuer Tatbestand vorgebracht wird, der der Entscheidung die rechtliche Grundlage entzieht. Das gilt auch dann, wenn die Einspruchsgründe auf einen neuen Sachverhalt gestützt werden und eine Auseinandersetzung mit den Gründen der Entscheidung der Einspruchsabteilung vollständig fehlt. S. auch T 801/00.
In T 2361/15 war die Beschwerde des Beschwerdeführers allein auf eine angebliche offenkundige Vorbenutzung gestützt, die erstmals mit der Beschwerdebegründung zum selben Einspruchsgrund vorgebracht worden war. Die Kammer erklärte, dass das Vorbringen eines neuen Sachverhalts im Beschwerdeverfahren nicht automatisch impliziert, dass die Beschwerdebegründung nicht darlegt, aus welchen Gründen die angefochtene Entscheidung aufzuheben ist. Es genügt, dass die Kammer aus der Beschwerdebegründung unmittelbar ersehen kann, warum die Entscheidung falsch sein soll und auf welche Tatsachen der Beschwerdeführer seine Argumente stützt. Die Beschwerdebegründung hatte diese Voraussetzung erfüllt.
Auch in T 727/09 lagen völlig neue Fakten vor, wenngleich der geltend gemachte Einspruchsgrund derselbe geblieben war. Die Kammer stellte fest, dass bei einer Beschwerdebegründung, die sich ausschließlich auf neue Dokumente stützt, ein unmittelbarer und eindeutiger Zusammenhang zwischen der angefochtenen Entscheidung und den Beschwerdegründen gegeben sein muss. Im fraglichen Fall war die Tatsachengrundlage jedoch völlig neu. Die Beschwerde wurde daher als unzulässig verworfen.