5.13.4 Verfahrensmissbrauch
In einigen Entscheidungen verneinten die Beschwerdekammern das Vorliegen eines taktischen Missbrauchs und berücksichtigten unter Hinweis auf den Amtsermittlungsgrundsatz die verspätet vorgebrachten Entgegenhaltungen, da sie möglicherweise die Aufrechterhaltung des Patents gefährdeten (s. T 110/89, T 315/92). In T 1029/05 stellte die Kammer fest, dass die Frage der Zulässigkeit des verspätet vorgebrachten Dokuments auf folgende Fragestellungen hinauslief: (i) Ist die verspätete Einreichung als Verfahrensmissbrauch anzusehen? Und falls (i) verneint wird: (ii) Ist das Dokument prima facie so relevant, dass dies seine Einführung in das Verfahren rechtfertigt? (s. auch T 2020/09, T 158/14).
In vielen Entscheidungen gingen die Kammern davon aus, dass ein Verfahrensmissbrauch ein vorsätzliches Zurückhalten von Information voraussetzt (vgl. z. B. T 534/89, T 1019/92, T 1182/01, T 671/03, T 1029/05; s. aber auch die im Abschnitt b) zusammengefassten Entscheidungen, die vielfach keinen solchen Vorsatz voraussetzen).
In T 1019/92 hatte ein Einsprechender erst nach Ablauf der Einspruchsfrist eine von ihm selbst stammende Entgegenhaltung eingereicht. Die Kammer sah hierin keinen Verfahrensmissbrauch, solange keine Beweise vorlägen, dass er dies bewusst aus taktischen Gründen getan habe. Siehe aber auch T 1757/06 (Zusammenfassung im nächsten Abschnitt).
In T 671/03 hatte die Einspruchsabteilung die Dokumente D6 – D16 nicht zum Verfahren zugelassen, weil diese mehr als zwei Jahre nach Ablauf der Einspruchsfrist eingereicht worden und prima facie nicht vollständig genug seien, um die angebliche Vorbenutzung zu substantiieren. Drei weitere Dokumente wurden während des Beschwerdeverfahrens eingereicht. Die Kammer konnte jedoch keine Tatsachen erkennen, die darauf hinwiesen, dass die Einreichung der Dokumente D6 bis D19 aus taktischen Gründen bewusst hinausgezögert worden sei. Nach eingehender Prüfung der Relevanz der verschiedenen Dokumente gelangte die Kammer schließlich zu der Auffassung, dass D18 zum Verfahren zuzulassen war, weil es prima facie hoch relevant war. S. auch T 1182/01 und T 1029/05.
In T 151/05 wurde die Tatsache, dass der Beschwerdeführer sich zunächst auf die Vorbenutzung 2 berief und dann, als er die mangelnde Begründetheit dieses Arguments feststellte, andere Beweismittel zum Nachweis des allgemeinen Fachwissens vorbrachte, von der Kammer als Fehlurteil angesehen, nicht aber als Verfahrensmissbrauch. Folglich prüfte die Kammer die Relevanz der Dokumente. Siehe aber auch T 552/18.